Mit neuer Energie voran!

Die Energiewende stockt etwas. Der politische Wille ist da, aber Rohstoffe und Fachkräfte fehlen, um den Ausbau schnell voranzutreiben, und leider steigt der Energiehunger schneller als die Zahl der Windräder – Stichwort Wärmepumpe und Elektromobil. Wir decken in Deutschland derzeit ca. acht Prozent unseres Energiebedarfs durch erneuerbare Energien: 40 Prozent der Stromerzeugung sind grün, und Strom macht 20 Prozent des Gesamtenergiebedarfs aus. Die Bilanz ist also eher ernüchternd. Alles kein Grund, den Bau neuer Windenergieanlagen oder Solarfelder zu reduzieren, aber vielleicht sollten wir den Blick auch auf innovativere Technologien wenden. Der technische Fortschritt macht ja gelegentlich Unvorstellbares möglich: Etwa die Kernfusion. Für die Automatisierungstechnik wäre das auf jeden Fall eine Goldgrube und die Option auf langfristige Technologieführerschaft.

Kernfusion? Hieß es nicht lange Zeit, wann immer man die Frage stellte, wann sie fertig sei, wäre die Antwort „in 50 Jahren“? Eine Antwort, die sie mit der Brennstoffzelle gemein hat… Doch der technische Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, und so sind es Entwicklungen in ganz anderen Bereichen, die zu einem Innovationssprung bei der Kernfusion führen könnten. Worum geht es? Nun, sie haben ja womöglich von den neuen Fertigungsverfahren für die Chipproduktion gehört, jenen hochpräzisen Lasern, mit denen das Moore’sche Gesetz von der Verdoppelung der Rechenleistung noch ein paar Jahre weitere Güligkeit erhält, indem die Strukturbreite der Halbleiterfertigung nochmals verringert werden kann. Unter anderem die deutschen Unternehmen Trumpf und Zeiss haben sich bei der Technologie der EUV-Lithographie besonders hervorgetan.

Diese hochpräzise Lasertechnik soll sich nun auch als Enabler der Kernfusion, als Motor einer Energierevolution eignen – davon ist auf jeden Fall das Münchner Startup Marvel Fusion überzeugt. Das junge Unternehmen, 2019 gegründet, will bereits in zehn Jahren das erste Kraftwerk bauen. Mit dieser optimistischen Einschätzung sind die Münchner nicht alleine. Rund 35 Unternehmen weltweit arbeiten an der Kernfusion, Startups ebenso wie der US-Rüstungsriese Lockheed Martin oder das in Darmstadt und Austin/Texas sitzende deutsch-amerikanische Unternehmen Focused Energy.

Kein Wunder, die Vision ist einfach zu verlockend. Elektrische Stromerzeugung ohne CO2-Emission, ohne langlebigen radioaktiven Abfall und ohne die Landschaft zu verschandeln. Und natürlich die Option auf Macht: Wer die Hand auf der Energieversorgung hat, besitzt viel Einfluss, wie uns die aktuelle Gas-Misere schmerzhaft lehrt.

Der Grund, warum unsere heimische Automatisierungsindustrie hier aufmerken sollte, liegt im Hightech-Ansatz der neuen Technologie. Vorbei die Zeit, als Kernfusion nur in milliardenteuren Großkraftwerken mit riesigen Magnetspulen und schwebendem, heißen Plasma denkbar war. Die laserbasierte Kernfusion hingegen feuert mittels Femtosekundenlaser einzelne Atome auf Feststoff-Kügelchen, in denen dann die Atomkerne verschmelzen. Rein rechnerisch lässt sich damit aus einem Gramm Brennstoff genausoviel Energie gewinnen wie aus elf Tonnen Kohle. Und das sogar preisgünstig: fünf Cent pro Kilowattstunde ist die Zielmarke, die von den deutschen Startups ausgegeben wurde. Selbst wenn es das Doppelte wird, läge die Fusion noch im Bereich konventioneller Kraftwerke.

Die Chance für unsere Automatisierungsbranche scheint groß. Denn wie jede hochkomplexe Technologie benötigt auch die Kernfusion ein ganzes Ökosystem an Zulieferern und Spezialmaschinen, um gut zu funktionieren. Hier könnte Deutschland seine Erfahrung aus der hochoptimierten Fertigung von modernsten Verbrennungsmotoren nutzen: Ein enges Geflecht aus OEMs, Zulieferern, Sondermaschinenbauern, Systemintegratoren und Automatisierungspezialisten, die in enger Anstimmung und oft in räumlicher Nähe großartige technische Lösungen erarbeiten. Mit Laserline und Trumpf haben wir Spezialisten für Extremlaser im Land, BASF oder Merck könnten die passenden Fusions-Kügelchen liefern und Siemens Energy die Kraftwerke, um die entstehende Hitze in Strom zu verwandeln. Dazwischen bietet sich viel Platz für Firmen, die bislang Maschinen zum Fräsen von Ventilsitzen oder zur Montage einer Auspuffanlage gebaut haben. Ein Knowhow-Aufbau in neuen Gebieten tut dort eindeutig Not.

Ich hoffe sehr, dass die Politik die Rahmenbedingungen schafft, dass derartige Kraftwerke bei uns in Deutschland gebaut werden und dass nicht Technologie-Skeptiker die innovativen jungen Firmen ins Ausland vertreiben, nur weil der Begriff ‚Atom‘ in der neuen Technologie vorkommt. Denn nur, wenn Automatisierer, Systemintegratoren, Maschinenbauer und Kraftwerksbauer lokal eng zusammenarbeiten, kann die Dynamik und Exzellenz enstehen, die auch den deutschen Automobilbau zu Weltruhm geführt hat. Und als rohstoffarmes Land sollten wir uns derartige Alleinstellungsmerkmale auf jeden Fall erarbeiten.

Etliche Maschinenbauer und Automatisierer sind ja bereits dabei, neue Technologien zur Batteriefertigung für Elektroautos zu entwickeln, oder für die Halbleiterindustrie. Das ist sicherlich der richtige Weg. Aber wer weiß, wenn wir saubere und sichere Energie im Überfluss hätten, könnten wir einen Teil davon ja sogar dafür aufwenden, CO2 wieder aus der Atmosphäre herauszufiltern und daraus Kohlefaser für Flugtaxis herzustellen. Vielleicht werden die lustigen Science-Fiction-Postkarten aus den 1920er-Jahren ja doch noch Realität. Und vielleicht werden wir das sogar noch erleben. Ich auf jeden Fall bin Optimist und freue mich darauf. Sie auch?

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