Standardisiert & individuell

Teilnehmer der Expertenrunde 2023 (v.l.n.r.): Armin Hänsler (Sick), Dr. Heiner Flocke (IC-Haus), Jörg Paulus (Fraba), Dr.-Ing. Peter Ebert (SPS-MAGAZIN), Prof. Dr. Johann Pohany (JP Consulting), Daniel Kleiner (Baumer), Manfred Macho (RLS) und Sebastian Kaiser (Hohner Automation)
Teilnehmer der Expertenrunde 2023 (v.l.n.r.): Armin Hänsler (Sick), Dr. Heiner Flocke (IC-Haus), Jörg Paulus (Fraba), Dr.-Ing. Peter Ebert (SPS-MAGAZIN), Prof. Dr. Johann Pohany (JP Consulting), Daniel Kleiner (Baumer), Manfred Macho (RLS) und Sebastian Kaiser (Hohner Automation)

Stehen wir vor einer neuen Aufteilung des Marktes in kundenspezifische und Standard-Drehgeber?

Daniel Kleiner (Baumer): Wir sind geprägt durch die Sensorik im Haus, von der wir vieles lernen. Dort sehen wir bereits die Entwicklung zur Standardisierung von Sensorik und dass dieses jetzt auch bei Drehgebern stattfindet. Die Kunst liegt darin, dass wir mit einer geplanten Basis-Variante auskommen und die Digitalisierung gibt uns die Möglichkeit, über Konfiguratoren sehr schnell weitere Varianten nach Kundenwunsch auszuführen. So ist gerade in Stockach eine neue 58mm-Drehgeberplattform angelaufen, bei der Kunden über unser Portal ihre gewünschte Variante bestellen können. Es wird zukünftig einen Standard-Markt geben, aber auch weiterhin die Nische, z.B. im Heavy-Duty-Bereich.

Armin Hänsler (Sick): Wir sind bestrebt ein Standard-Portfolio, welches die Kundenanforderungen abdeckt, am Markt zu platzieren. Es gibt aber auch Kunden, die kleinere Änderungen haben wollen, z.B. andere Kabellängen, Anschlusstechnik usw. Dort sind wir offen und haben uns strategisch so aufgestellt, dass wir in kurzer Zeit auch kundenspezifische Anpassungen machen können, auch für kleinere Stückzahlen. Wir haben dafür extra ein Team aus allen notwendigen Disziplinen zusammengestellt, dass sich von der Anfrage bis zur Serienlieferung um diese Projekte kümmert.

Jörg Paulus (Fraba): Wir haben schon lange den Ansatz industrialisiert zu fertigen und trotzdem eine große Varianz abzubilden. Fraba bietet eine Million verschiedene Varianten an, die wir auch direkt fertigen können. Um diese Varianz fertigen zu können, muss allerdings alles modular aufgebaut sein. Wir haben verschiedene Gehäuse, Flansche usw. und das alles ist miteinander kombinierbar. Über unseren Webshop kann jede Person einen von diesen eine Million Drehgebern kaufen, den er – in normalen Zeiten – auch innerhalb von einer Woche bekommt. Unser Mass-Customization-Ansatz geht so weit runter, dass wir auch Einzelstücke mit diesem Fertigungssystem bauen können.

RLS hat als einer der ersten Hersteller eigene Asics gemacht, was für eine Standardisierung spricht. Auf der anderen Seite ist RLS auch der einzige Drehgeber-Hersteller den ich kenne, der Jumper auf den Drehgebern hat, so dass Kunden selbst ihre Schnittstelle umkonfigurieren können. Wie sehen Sie das Thema Standardisierung?

Manfred Macho (RLS): Strategisch sind wir so positioniert, um auf Kundenwünsche jederzeit eingehen zu können. Ein Großteil unserer 250 Mitarbeiter ist in der Entwicklung. Aktuell vertreiben wir zwar sehr viele Standardprodukte, aber jede fünfte Anfrage ist mittlerweile kundenspezifisch. Dann wird im Haus beraten, was wir machen können, wie groß die Veränderung ist und wie schnell wir das realisieren können. Danach wird entschieden, ob wir diese spezifische Ausführung entwickeln oder nicht.

Sebastian Kaiser (Hohner Automation): Bei uns kann kundenspezifisch zu Standard werden, das heißt unser Portfolio wächst auch um kundenspezifische Drehgeber. Bei Kundenanfragen beraten wir intern, ob dort noch weiteres Potential vorhanden ist und so gibt es bereits einige Produkte, die bei uns im Portfolio zuerst kundenspezifisch waren und nun Standard sind. Wo vielleicht ein größerer Hersteller sagt, es lohnt sich nicht, springen wir ein, weil wir noch einen sehr hohen Flexibilisierungsgrad haben. Eine Standard-Applikation können wir mehr oder weniger zum selben Verkaufspreis anbieten wie die anderen. Bei kundenspezifisch kann man dagegen ein paar Euro mehr verlangen, weil es dem Kunden auch etwas wert ist, wenn er einen Drehgeber 1:1 gegen eine individuelle Lösung austauschen kann.

Herr Flocke, von der Komponentenebene aus betrachtet: Wie sehen Sie das Thema Standard?

Dr. Heiner Flocke (IC-Haus): Der Trend zu einer höheren Komplexität führt eindeutig dazu, dass auch die Stückzahlen bei den Encoder-ICs höher sein müssen (für Gleichteile). Alleine bei den Maskenkosten ist klar, dass die Stückzahl von Gleichteilen in der nächsten Chip-Generation steigen wird und damit auch der Bedarf an Stückzahlen. Auf der anderen Seite bietet diese Komplexität auch neue Möglichkeiten, wie Einstellungen, Kalibrierung, oder Funktionsauswahl. Das alles kommt mehr und mehr auf den Chip und damit wird dieser durch den Anwender selbst kundenspezifisch, da er eigene Einstellungen vornehmen kann. Wir haben das heute schon auf unseren ICs, dass sie die Größe des Gebers einstellen und sie bereits selbst programmieren können. Bei der nächsten Generation haben wir weitere Funktionen wie Monitoring, Machine Learning, Safety-Diagnosen usw. Dieser Prozessor gibt auch kleinen Drehgeber-Herstellern die Möglichkeit, anwendungsspezifische Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten. Nicht das Asic unterscheidet sich dann, sondern wie ich das Asic programmiere und darauf zugreife.

Sehen Sie eine Verdrängung der Asics durch Mikrocontroller?

Flocke: Nein. Also bei einer Rückkehr zu einem Hall Array oder COM-Dioden-Anordnung müssten wir uns andere Felder suchen. Wir reden hier von einem Frontend und dort gibt es viele Vorgaben, wie z.B. Echtzeitaufbereitung. Unsere Chips sind eher komplexer geworden und integrieren den Prozessor mit auf dem Chip, aber nicht vergleichbar mit einem Stand-Alone-Prozessor, also keinen ARM9.

Wie sehen die Hersteller das: Verdrängen Mikrocontroller die Asics oder bauen Sie sogar eigene Asics, um sich differenzieren zu können?

Kaiser: Hohner bietet beides an, also sowohl Lösungen mit den Asics von IC-Haus, als auch Designs mit Mikrocontrollern. Aktuell haben wir noch mit dem Mikrocontroller mehr Rechenpower und Flexibilität bei Applikationen, wo der Drehgeber etwas mehr können muss oder Programmieraufgaben nötig sind. Die Abtastung läuft dann über ein eigenes Konzept.

RLS hat schon lange eigene Asics.

Macho: Unsere Asics werden überwiegend in den Highend-Systemen eingebaut, also unseren Hohlwellengebern. Die Mikrocontroller werden nur in den linearen Anwendungen eingesetzt, in den rotativen Drehgebern verwenden wir dagegen Asics.

Paulus: Wir setzen schon seit vielen Jahren auf Mikrocontroller und machen alle Schnittstellen wie Profinet usw. selbst. Auch bei den Inkremental-Drehgebern machen wir die ganze Logik und Signalverarbeitung im Mikrocontroller. Damit können wir mit unserer Technik auch auf die nächste Controller-Generation gehen und erreichen dort nochmals mehr Genauigkeit und Dynamik. Bei Asics werden wir sicherlich nichts eigenes bei optischen oder magnetischen Asics machen. Allerdings werden wir bei der Wiegand-Technologie, also der Multiturn-Erfassung, zukünftig auch mit eigenen Asics unterwegs sein.

Kleiner: Zukünftig werden wir uns alle sicherlich in der Auswertung, also der Signalprozessierung, unterscheiden. Bei Asics möchte ich mich nicht festlegen. Wir sehen auf der Interface-Seite, dass eine clevere Asics-Architektur mit einem frei programmierbaren Kern durchaus Vorteile bietet, sei es von der Schnelligkeit, oder auch von der Energie- und Kosteneffizienz. Daher möchte ich nicht sagen, wir machen nur das eine oder das andere, sondern werden versuchen einen Mittelweg zu finden. Wir stellen aber sicherlich auch noch in ein paar Jahren inkrementale Drehgeber mit einem einfachen Opto-Asic her.

Hänsler: Auch Sick wird weiterhin beide Systeme haben. Letzten Endes bestimmt der Kunde, mit welcher Technologie wir die Produkte entwickeln. Ein großes Thema ist auch die Beherrschung der Lieferketten. Dort verlangen viele Kunden Nachweise, wie wir diese Lieferketten managen. Da bietet es sich natürlich an, auf Systeme zu setzen, die man auch im Risikomanagement unter Kontrolle hat. Auch Themen wie Time-To-Market, Kostenanforderungen und Innovation sind enorm wichtig. Wir wollen die Maschinenbauer unterstützen ihre Innovationen am Markt platzieren zu können. Daher werden wir weiterhin beide Systeme entsprechend pflegen und einsetzen.

Baumer und Fraba haben mittlerweile Magnetgeber, die sehr präzise sind und auch von der Dynamik nahe an optische Geber herankommen. Gibt es daher eigentlich noch einen Grund bei Standard-Applikationen einen optischen Geber einzusetzen, der dann zehn Euro teurer ist als ein Magnetgeber?

Kleiner: Für Baumer machen beide Seiten Sinn, da von der Dynamik her die optischen Drehgeber nach wie vor ungeschlagen sind. Wenn es um eine hohe Dynamik an einer Achse geht, bekommen wir optisch einfach die besten Resultate zu einem akzeptablen Preis. Sicherlich geht das auch magnetisch, aber mit einem höheren Aufwand. Trotzdem sind Magnetgeber für Baumer ein wichtiges Standbein geworden, da sie heute in vielen Fällen ausreichen, was Auflösung und Genauigkeit anbelangt. Zudem haben sie den Vorteil, dass sie sehr robust sind. Wir haben mittlerweile eine lange Erfahrung mit Magnetgebern in der Bahntechnik. Der Erfolg setzt sich jetzt im Industriebereich fort, denn auch dort gibt es Applikationen mit rauen Umgebungsbedingungen. Auch Themen wie Fremdfeldeinflüsse hat man durch Simulation unter Kontrolle. Magnetgeber werden daher stärker im Markt werden, aber es wird auch weiterhin Bereiche für optische Drehgeber geben, wo ich mit bekanntem Aufwand eine hohe Dynamik erreiche. Gerade bei schnellen Servo-Antrieben sind optische Drehgeber die erste Wahl.

Hänsler: Wir haben Anforderungen von Kundenseite, bei denen die Abtasttechnologie gar keine große Rolle spielt. Wir beherrschen seit je her die Technologien von z.B. magnetischen, induktiven, kapazitiven und natürlich optischen Abtastern. Unser Technology-Scouting arbeitet permanent an der Ausreizung dieser Technologien. Wenn es um hohe Dynamik und Präzision geht, führt am optischen Geber kein Weg vorbei.

Paulus: Bei Fraba reden wir beim Thema Magnettechnik vorwiegend über Stand-Alone-Drehgeber, aber auch im Bereich Servo-Antriebe sind wir erfolgreich. Nicht bei Werkzeugmaschinen, die eine absolute Präzision brauchen. Dort sind heute noch die optischen Systeme im Einsatz, aber die Dynamik haben wir mittlerweile sehr gut im Griff. Auch bei schnellen Servo-Antrieben kommen wir mit magnetischen Systemen exzellent hin. Gerade in Bereichen wie bei mobilen Maschinen und AGVs (Autonomous Guided Vehicles) ist der magnetische Drehgeber das perfekte Produkt. Magnetik ist in vielen Bereichen der Optik überlegen, weil es robuster, kleiner gebaut und kostengünstiger ist. Wir bauen unsere mit Mikrocontroller gefertigten Inkrementalgeber günstiger, als die meisten optischen Geber. Wenn dann auch noch die Wiegand-Technologie dazukommt, ist ein magnetisches Multiturn-System mit Abstand das kostengünstigste Drehgeber-Paket am Markt. Dann gibt es im Stand-Alone-Bereich überhaupt keinen Bedarf mehr für optische Geber, höchstens noch bei Werkzeugmaschinen.

RLS ist auch eine rein magnetische Firma. Wie sehen Sie das?

Macho: Das kommt natürlich immer auf die Applikation an: Bei hoher Verschmutzung der Maschinen ist natürlich der magnetische Geber – auch aus Kostengründen – vorzuziehen. Auch wir glauben, dass die magnetischen Geber immer stärker im Kommen sind.

Kaiser: Auch wir glauben, dass sowohl optische als auch magnetische Geber noch eine ganze Zeit vorhanden sein werden. Wo ich Herrn Paulus widersprechen muss: Wenn wir von der 58mm-Bauweise im Inkrementalgeber abweichen und nach unten gehen, können wir sehr wohl noch optische Geber herstellen, die kostengünstiger sind als magnetische.

IC-Haus bedient als Technologielieferant beide Bereiche.

Flocke: Bei absolut-magnetisch kenne ich zwei Prinzipien: Das eine ist Nonius, das andere PRC (pseudo random coded). Bei beiden Ansätzen darf man aber auch die Kosten des Targets als mehrspurige Maßverkörperung nicht aus den Augen lassen. Auch ein Diametral- oder Zentrumsmagnet kostet, wenn es um Qualität und Sortierung geht. Auch der Arbeitsabstand ist zu bewerten. Bei robustem Maschineneinsatz darf die im Abstand von 100µm rotierende optische Codescheibe nicht gegen den Abtaster schlagen. Wir haben dafür auch reflexive Systeme mit einer anderen Kostenstruktur. Dort erreichen wir Robustheit und können den Arbeitsabstand vergrößern. Weiterhin sind Safety-Aspekte zu betrachten. Bisher haben wir noch keine Lösung gesehen mit zwei redundanten magnetischen Systemen auf einem einzigen Chip, wie wir sie im optischen anbieten. Ergänzend zu transmissiven, reflexiven und magnetischen Ausführungen entstehen auch induktive Abtast-Chips.

Wenn wir uns Logistik-Applikationen ansehen, sind das meist sehr hohe Stückzahlen und die Systemanforderungen relativ einfach – bis auf den Preis, der nicht so einfach zu erreichen ist. Ist das ein Markt für Sie?

Kaiser: Wir arbeiten mit ersten Kunden in diesem Markt, uns sind die Anforderungen bekannt und wir werden hier auch in der Zukunft unser Portfolio entsprechend anpassen.

Wenn ich mir Open-Loop-Applikationen anschaue, habe ich dort bereits häufiger RLS-Geber gesehen. Ist das eines Ihrer Standbeine?

Macho: Ist es und wird auch immer stärker. Wir haben dort unsere Produkte bereits erfolgreich in einigen Applikationen integriert.

Hänsler: Im Bereich der AGV´s/AGC´s ist Sick seit vielen Jahren aktiv und daher ist es auch ein wichtiger Markt. Die Antriebstechnik variiert sehr stark, besonders im Bezug auf die Fahrzeuggröße, was dann auch den Drehgeber bestimmt. Unseren Kunden bieten wir durch den Systemansatz aus funktional sicheren Komponenten wie Laserscanner, Steuerung, Drehgeber und Serviceangebote ein maßgeschneidertes Lösungsangebot.

Herr Paulus, ist Ihr Encoder-Kit der Einstieg in den AGV-Markt oder sind Sie dort schon tätig?

Paulus: Wir sind dort schon länger tätig, aber das Encoder-Kit ist aktuell für uns der größte Markt dafür, weil einfach bei den Material-Handling-Anwendungen, also nicht nur AGVs, sondern überall dort, wo Material bewegt wird, immer ein Motor ist. Dort ist auch unser Kit drin – und das in großer Stückzahl. Darüber hinaus sind wir aber auch bereits mit unseren Stand-Alone-Gebern in diesem Markt tätig. In Europa ist es ja tatsächlich so, dass es kaum ein AGV ohne eine Sick-Kamera oder -Scanner gibt, aber nicht in jedem AGV ist ein Drehgeber von Sick.

Kleiner: Natürlich sind AGVs auch für Baumer ein wichtiges Betätigungsfeld. Wir sehen hier ein großes Interesse an unseren Magnetdrehgebern, und zwar nicht nur Zentrumsmagnete, sondern auch an den Möglichkeiten, die wir durch unsere Polräder und Ring-Encoder bieten können. Das ist eine Kit-Bauform, die dort offensichtlich gut für diese AGV-Applikation passt. Was gut funktioniert, ist das Thema Closed-Loop-Anwendungen, also nicht auf Open-Loop beschränkt. Gerade wenn es um die Drehzahlregelung der Antriebe geht. Aber auch Lenkwinkel-Applikationen, bei denen Safety ins Spiel kommt, lassen sich gut und einfach über unsere Ring-Encoder abbilden. Auch durch eine Kombination eines Zentrumsmagneten mit einem zertifizierten Encoder gibt es Möglichkeiten, Kombinatorik aufzubauen.

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