Energiemanagement mit Lerneffekten

Bild: Ing. Punzenberger Copa-Data GmbH

Energiesicherheit und die flächendeckende Versorgung durch erneuerbare Energien sind längst nicht mehr neu auf den Agenden von Wirtschaft, Politik und auch Privatpersonen. Weltweite politische und wirtschaftliche Spannungen verleihen der Thematik zusätzliche Dynamik. Technologien und Konzepte für dezentrale Energieversorgungen mit regenerativen Energien existieren längst, auch die Umsetzung nimmt zunehmend Fahrt auf. Ein wichtiger Aspekt dafür, dass Zukunftskonzepte Realität werden können, ist die Aus- und Weiterbildung qualifizierter Fachkräfte. Die Handwerkskammer (HWK) Potsdam hat diesen Bedarf erkannt und 2013 auf dem Bildungs- und Innovationscampus Handwerk in Groß Kreutz ein bundesweit einmaliges Projekt initiiert: Das Kompetenzzentrum für Energiespeicherung und Energiesystemmanagement. Im April 2022 eröffnet, sollen hier zukünftig vor allem Handwerkerinnen und Handwerker praxisnah zu allen Themen der Umsetzung nachhaltiger dezentraler Energiesysteme und ihrer Installation in Industrie, Handwerk und Wohngebäuden qualifiziert werden. Dazu wurde der Campus hinsichtlich der Energieversorgung in zwei Hälften geteilt, damit eine Hälfte von der öffentlichen Stromversorgung abgetrennt und autark als Inselnetz betrieben werden kann. „Wir haben elf Photovoltaikanlagen mit insgesamt 144 kWp, eine Windanlage, mehrere Ladesäulen und verschiedene Hausspeicher auf dem Campus installiert. Damit die Anlagen jedoch in Betrieb gehen konnten, benötigten wir einen Batteriegroßspeicher von 640kW sowie ein intelligentes Energiemanagementsystem“, erläutert Christian Leest, Technischer Leiter am Bildungs- und Innovationscampus Handwerk (BIH) der HWK Potsdam.

Visualisierung des EMS
Visualisierung des EMSBild: Ing. Punzenberger Copa-Data GmbH

Spezialisten mit Erfahrung gesucht

In einer europaweiten Ausschreibung suchten die Verantwortlichen daher einen Spezialisten für die Lieferung, Entwicklung und Installation beider Kernkomponenten. Mit dem mecklenburgischen Versorgungsnetzbetreiber Wemag im Verbund mit ihrem Partner Scada-Automation fand die HWK dafür einen Partner – mit Erfahrung und Know-how in der Steuerung von Großspeichern und dazu einer passenden Software für die Entwicklung eines Leitsystems im Gepäck: Zenon von Copa-Data. Scada-Automation ist Systemintegrator für Leitsystem- und Automatisierungslösungen in Industrieanlagen für Energieerzeugung und Produktion sowie Energiemanagement in Unternehmen. Das Unternehmen mit Sitz in Brandenburg und Berlin setzt die Industrieautomationssoftware Zenon bei nahezu all seinen Projekten ein, bei denen Visualisierung, Protokollierung und Bedienung gefragt sind. Neben der auf Zenon basierenden Steuerung des von Wemag gelieferten Batteriegroßspeichers ist es besonders das Energiemanagementsystem Microgrid EMS, mit dem Scada-Automation die zukunftsorientierte Weiterbildung bei der HWK Potsdam möglich macht. Es verknüpft alle Erzeuger und Verbraucher in einem virtuellen Kraftwerk, stellt die lückenlose Energieversorgung des Campus sicher und visualisiert anschaulich alle Energieströme. Eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung des EMS war die Vielseitigkeit der existierenden Anlagen auf dem Campus und ihre unterschiedlichen Hersteller, Systeme, Clouds und Protokolle. Alle Komponenten galt es, in einem Steuerungssystem zu vereinen. Keine leichte Aufgabe. „Die Flexibilität von Zenon war ein entscheidendes Erfolgskriterium des Projekts“ erklärt Jens Ramlow, Geschäftsführer und Control Systems Architect von Scada-Automation. „Sie ermöglicht, die unterschiedlichen Anlagen mit dem Standard VHPready unter Verwendung der Protokolle IEC60870-5-104, IEC61850 und Modbus in einem Microgrid EMS zu verknüpfen und auch eigenprogrammierte Erweiterungen anzubinden.“

Das Single Line Diagramm bietet einen guten Überblick.
Das Single Line Diagramm bietet einen guten Überblick.Bild: Ing. Punzenberger Copa-Data GmbH

Komplexe Vorgänge visualisieren

Im Microgrid EMS von Scada-Automation werden alle Energieströme dokumentiert. Auch Faktoren wie Temperatur, Niederschlag, Wind und Sonnenstand werden berücksichtigt. Das ist essenziell für die effektive Steuerung der Energieströme – und für den Bildungsanspruch der Betreiber. Auch hier kommen die Eigenschaften von Zenon zum Tragen, denn die vielfältigen grafischen Möglichkeiten machen eine neue Dimension der Visualisierung möglich. Im Sankey-Diagramm können Kursteilnehmende in Echtzeit und in plakativen Energiebalken feingliedrig die Energiemengen und -ströme an den unterschiedlichen Erzeugungs- und Entnahmepunkten verfolgen. Balken unterschiedlicher Farbe und Dicke machen die verschiedenen Anlagen und die Menge des fließenden Stroms erkennbar. „Unser Anspruch war es, die Energieströme so darzustellen, dass das EMS ein begeisterndes Nutzungserlebnis bietet und relevante Faktoren auch von Einsteigern auf einen Blick erfasst werden können. Das ist wichtig für die breitgefächerte Zielgruppe der Handwerkskammer“, betont Jens Ramlow. Ein wesentliches Erfolgskriterium der Realisierung war die umfangreiche Template-Bibliothek, die das Team von Scada-Automation während der letzten Jahre und im Zuge zahlreicher Projekte mit Zenon entwickelt hat. „Bei der Entwicklung unsere Templates können wir oftmals auf bestehende Vorlagen in zenon zurückgreifen und sie flexibel nach unseren Anforderungen parametrieren. Auch das ist ein Vorteil unserer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Copa-Data“, erklärt Martin Spiegel, Geschäftsführer und Control Systems Engineer bei Scada-Automation.

Das Sankey-Diagramm im Microgrid EMS visualisiert anschaulich alle Energieflüsse von Erzeugern zu Verbrauchern.
Das Sankey-Diagramm im Microgrid EMS visualisiert anschaulich alle Energieflüsse von Erzeugern zu Verbrauchern.Bild: Ing. Punzenberger Copa-Data GmbH

Energiemanagement mit Lerneffekt

Weiteres Alleinstellungsmerkmal des Microgrid EMS ist, dass das System tatsächlich als Steuerungssystem agiert. Es greift automatisiert in das Netz ein und reguliert Energieströme im Rahmen definierter Werte; z.B. schaltet es Erzeuger zu oder ab, sichert Grenzen der Einspeisung aus dem öffentlichen Netz sowie den Füllstand des Großspeichers. Dabei bezieht das System historische wie prognostizierte Werte mit ein und agiert vorausschauend. „Auch hinsichtlich der Steuerung wussten wir, dass wir uns auf Zenon verlassen können. Da geht es nicht nur um Big Data, sondern um den praktischen Einsatz erhobener Daten zur effizienten Verbrauchsoptimierung“, erläutert Spiegel. Und ganz besonders profitieren die Lernenden von der Ausbildung an dem real arbeitenden System. Die Lehrenden haben viele Möglichkeiten, Parameter manuell zu verändern, um die Auswirkungen im Microgrid, an den Energiespeichern und Netzanschlusspunkten bewerten und veranschaulichen zu können. Ein USP, der auch die Betreiber begeistert. „Am Anfang eines Projektes dieser Dimension kann man nie genau abschätzen, wo die Reise hingeht. Heute können wir sagen: Wir sind mehr als zufrieden mit dem Microgrid EMS und den vielfältigen Möglichkeiten, die es im Zusammenspiel mit unseren Anlagen und dem neuen Speicher für unser Zentrum und unser Kursangebot bietet“, sagt Christian Leest vom BIH. „Wir freuen uns sehr, nun aktiv in den Lehrbetrieb einzusteigen und unseren Beitrag dazu zu leisten, dass die Energiewende erfolgreich gelingen kann.“

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