Nachhaltiges Trinken

Bild: Tedo Verlag GmbH

Jetzt wird mir schlagartig klar, dass diese Entwicklung viele Prototypen kostet, und warum die feinen Langloch-Fräsbohrer für Hartholz nicht auffindbar waren. Auffällig war dann noch der Materialverschleiß beim nachhaltigen Holzhalmbohren. Das belegt der etwa 5m hohe Stapel von methodisch unterschiedlich gefrästen, durchbohrten und geschliffenen 20mm dünnen Buchen- und Eichenstöcken. Das sieht höchst dekorativ aus, bewährt sich aber auch hervorragend als Stolperfalle für Ahnungslose, die nicht auf ihre Füße achten, wenn sie unsere Textschreinerei betreten. Aber er hat auch Fans. „Der Holzhaufen, ist eigentlich reif für die Dokumenta“, sagt der Präsident zur Rettung des Holzwegs und reibt sich das geschwollene Knie. Er wollte für eine Imageaktion für den Holzweg unsere höchst repäsentative Schreinerei mieten. „Der Holzweg darf nicht länger als ein nicht zielführendes Vorgehen betrachtet werden oder als die Aufforderung gelten, den Irrweg zu verlassen.“ Der Mann vertritt hohe Ziele, er hat sich aber erst mal fast die Knochen auf dem Weg zu uns gebrochen. Viele Stöcke machen jeden Weg zum Holzweg.

Wie kam’s zu den vielen Stöcken? „Von jedem seiner fast täglichen Waldrundgänge bringt er sich einen ‚Wanderstock‘ mit, hat sich kürzlich seine Frau bei mir beklagt.“ Jetzt kenne ich den Grund: Megatrinkhalme für Trinkgefäße in Ballermann-Dimensionen für ca. 2-Liter-Caipi: Die zahlreichen Prototypen vor unserer Tür kamen dem gesamten HOB-Team zunächst ziemlich rätselhaft vor: „Sie sprechen die Sprache großer Projekte“, findet unser Kollege Dr. Wood: „Der lange Hohlkörper aus Holz eignet sich doch zum Aussaugen von Maßkrügen oder im umgekehrten Prinzip als Blasrohr, das nach dem Gesetz des Dschungels fürs Versenden von irgendwie mit medizinischen Wirkstoffen versehenen Pfeilen dient. Vielleicht als Long-Distance-Impf-Apparatur gegen die weitere Verbreitung der Coronaviren. Das wird in Gebieten eingesetzt, die durch das verstärkte Vorkommen einer seltsamen Verschwörungsspecies für die Vernunft unzugänglich sind.

Aber zurück zur Technik. Darin liegt unsere Stärke, denn der Trinkhalm ist genial konstruiert. Mein Chef stellt der Redaktion den Plan hinter dem Holzhalm vor. „Er nutzt den Kapillareffekt wie ein Baum, der mit den Wurzeln das Wasser aufnimmt, bis zur Krone transportiert, wo es dann aus den Spaltöffnungen der Blätter oder Nadeln verdunstet oder für die Photosynthese benötigt wird. Die Verdunstung bewirkt dabei einen Transpirationssog. Kohäsionskräfte des Wassers verhindern nämlich das Abreißen des Flüssigkeitsstroms. Dieser Kapillareffekt begünstigt zusammen mit dem osmotischen Effekt den Aufstieg des Wassers. Leider kann ein Baum höchstens 130m hoch werden, dann verlieren sich die Osmose und die Kapillarkraft, und die Schwerkraft gewinnt die Oberhand.“ In die tägliche Trinkrealität übersetzt heißt das: „Große, hölzerne Trinkhalme könnten Getränkervorräte bis zur Tiefe von 130m erschließen. Das Trinken über große Distanzen wird enorm vereinfacht. Der nachhaltige Holzhalm lässt dem Durst keine Chance“, erklärt der Chef mit glänzenden Augen.

Er will er sich einen Nebenerwerb aufbauen. „Ich verticke meine super nachhaltigen Holz-Trinkhilfen an Ikea und kaufe mir von dem Erlös endlich das schnuckelige Schlösschen am Starnberger See.“ Unsere Textschreinerei müsste dann allerdings vom Waldbüro in der Nähe des Münchner Schlosses Nymphenburg wegziehen. Aber das will hier keiner. In einer Nacht- und Nebelaktion haben wir die Stöcke zurück in den Wald geschleppt. Alles bleibt, wo es ist – und das hat etwas mit der Entropie des Holzes zu tun. Aber das ist eine andere Story. Ich muss jetzt schnell an die Textsäge.

Herzlichst Ihre

Krissy Sägezahn

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Kategorisiert in Holzbau

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