„In kurzer Zeit Kundenwünsche befriedigen“

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Vor welchen Herausforderungen stehen Variantenfertiger?

Michael Neuhaus: Wir beobachten seit längerem, dass der Markt, auch für komplexe Maschinen und Anlagen, nach immer mehr Flexibilität verlangt – ähnlich wie wir es aus dem B2C-Bereich kennen. Das kundenindividuelle Produkt bildet die größte Herausforderung. Das bedeutet auch, dass diskrete Fertiger neben der Umsetzbarkeit der Losgröße 1 auch die Wirtschaftlichkeit sicherstellen müssen. Dies ist aus meiner Sicht nur mit der Unterstützung von Software machbar. Dabei muss die Vielfalt der Stammdaten gemanagt und modulare Standards geschaffen werden. Zudem können durch die Digitalisierung personelle Engpässe abgefangen werden.

Welche Möglichkeiten bekommt die Variantenfertigung durch Digitalisierung und neue Technologien, wie z. B. 3D-Druck?

Neuhaus: Hier sind sehr viele Beispiele zu nennen. Der 3D-Druck ermöglicht sehr früh für ein entstehendes Produkt funktionale Prototypen zu erstellen. Die umfangreichen Informationen aus einem Variantenkonfigurator können genutzt werden, um 3D-Modelle zu erzeugen. Aber auch die 3D-Visualisierung ist ein großer Fortschritt. Schon im Verkaufsprozess werden individuelle Produkte in Echtzeit fotorealistisch visualisiert. Zudem können die Umgebung für das Produkt sowie Kollisionsprüfungen zu Raumelementen oder weiteren Produkten dargestellt werden. Augmented Reality ist ein weiteres Beispiel. So kann man sich vorstellen, dass das Verkaufserlebnis gesteigert wird, aber auch Serviceprozesse vereinfacht werden.

In welcher dieser Technologien sehen Sie den größten Nutzen und warum?

Neuhaus: Hier sehe ich Vorteil im Bereich von KI. Bei umfangreichen Planungen kann die Technologie entscheidende Vorteile bringen. Wenn etwa ein Leuchtenhersteller seine Objekte – z.B. Straßenzüge – plant, wird das heute in der Regel manuell durchgeführt. Durch den Einsatz von Konfiguratoren und 3D-Visualisierungen stehen jedoch viele Daten zur Verfügung, die es zu nutzen gilt. Gleiches gilt für die Erfahrungen, die aus den Verkaufs- und Planungsprozessen entstanden sind. Die KI-Technologie kann zudem dazu beitragen, den Energieverbrauch in der Produktion zu senken. Dabei stellen sich unterschiedliche Fragen: Bei welchem Produkt hat man welche Energiekosten auf welcher Maschine mit welchem Werkzeug und bei welcher Drehzahl? Diese Daten können in Kombination mit Konfigurationsinformationen genutzt werden, um den Energieverbrauch zu reduzieren und die Maschine eventuell mit ein bisschen weniger Drehzahl oder einem anderen Werkzeug laufen zu lassen.

Sie haben die Daten angesprochen. Wie können diese bestmöglich genutzt werden?

Neuhaus: Mit einem Produktkonfigurator und einer Visualisierungssoftware allein ist es nicht getan. Zunächst muss man sich darüber im Klaren sein, welche Produktvielfalt man hat bzw. haben möchte. Dort kommen häufig Interessenkonflikte ins Spiel: Was möchte der Vertrieb verkaufen und was ist tatsächlich in den letzten Jahren verkauft worden? Theorie und Praxis gehen dabei häufig auseinander. Auch in diesem Bereich gibt es mittlerweile intelligente Software, die es ermöglicht, über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg Abhängigkeiten und Merkmale eines Produktes zu erfassen und diese für den Vertrieb, die Produktion und den Einkauf transparent zu machen. Daraus lässt sich dann ableiten, an welchen Stellen es Optimierungspotenzial gibt.

Wie verändern sich – z. B. durch die bereits angesprochenen Produktkonfiguratoren – Geschäftsmodelle?

Neuhaus: Aus dem Consumer-Bereich sind wir bereits an eine große Variantenvielfalt und Produktkonfiguratoren gewöhnt. Diese wirken sich im B2B-Bereich auf die unterschiedlichen Vertriebskanäle aus. So können für Endkunden mit wenig Produktkenntnissen einfache Konfiguratoren zur Verfügung gestellt werden. Genauso wie für den technischen Experten im Verkaufsinnendienst oder beim Händler komplexe Konfiguratoren genutzt werden können. Zudem werden immer mehr Services rund um das Produkt nach dem Verkauf angeboten. Durch die digitalen Konfigurationsinformationen kann der Kunde selbst sein Produkt im 3D-Modell auf einer App auswählen, hat die Möglichkeit Erweiterungen zu konfigurieren oder Ersatzteile zu bestellen. Zudem kann er über Maschinendaten, die ihm das Produkt liefert, frühzeitig Störungen erkennen – z. B. durch ein fehlerhaftes Bauteil. So entstehen letztendlich neue Serviceprozesse für das verkaufte Produkt.

Verändert das auch die Beziehung zwischen Kunde und Fertiger?

Neuhaus: Der Kunde bekommt frühzeitig ein Bild von seinem Produkt. Was früher technische Zeichnungen waren, lässt sich mittlerweile fotorealistisch darstellen – gegebenenfalls sogar in der entsprechenden Raumumgebung. Das sind sicherlich Möglichkeiten, die man früher als Endkunde nicht hatte.

Das bedeutet auch, dass der Weg vom Entwurf zum Produkt ein schneller ist. Wie flexibel müssen Fertiger denn heute sein?

Neuhaus: Variantenfertiger haben heute den Zwang, in möglichst kurzer Lieferzeit die Kundenwünsche zu befriedigen und zugleich wirtschaftlich transparent zu sein. Was wir also aus dem Handel bereits kennen, hält auch Einzug in das B2B-Geschäft. Und darin liegt die Herausforderung.

Mehr Varianten bedeutet auch, dass Anfälligkeit für Fehler steigt. Wie kann man dem entgegenwirken?

Neuhaus: Durch gutes Stammdatenmanagement und mit Hilfe von Konfigurationsregeln. Häufig werden durch Techniker und Ingenieure manuelle oder nur teilweise durch Software unterstützte Planungen durchgeführt. Oder der Vertrieb verkauft auf Basis von Mustern oder Standards. Die individuellen Wünsche werden oft aufgrund von Erfahrungswerten verkauft. Ein Konfigurator folgt klaren Regeln. Diese werden für jeden nutzbar gemacht. Jede neue Erfahrung kann durch Regelwerke digitalisiert werden. Auch Abhängigkeiten unter den verschiedenen Merkmalen einer Konfiguration und über eine gesamte Anlage sind nutzbar, um Fehler zu vermeiden.

Wer wird in Zukunft erfolgreich sein?

Neuhaus: Der, der seine Kundenwünsche in kurzer Zeit liefern kann und trotzdem höchste Qualität bereitstellt. Das Produktwissen sollte im Vordergrund stehen und das Verkaufen sollte zum Erlebnis werden. Wenn dann noch Liefertermin, Preis und natürlich auch die Wirtschaftlichkeit zu jedem Zeitpunkt des Verkaufens bekannt ist, wird man erfolgreich sein. (mst)

www.msg-treorbis.de

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