Lagerlose Perspektiven

Die Teilnehmer der Drehgeber-Expertenrunde 2021: (o.v.l.) Johann Pohany (Medidtcine), Philipp Kaim (Baumer), Dr. Peter Velling (Lenord+Bauer); (u.v.l.) Jörg Paulus (Posital), Arnold Hettich (Fritz Kübler GmbH), Andrej Metljak (RLS)
Die Teilnehmer der Drehgeber-Expertenrunde 2021: (o.v.l.) Johann Pohany (Medidtcine), Philipp Kaim (Baumer), Dr. Peter Velling (Lenord+Bauer); (u.v.l.) Jörg Paulus (Posital), Arnold Hettich (Fritz Kübler GmbH), Andrej Metljak (RLS)

Dr. Johann Pohany (JP Consulting): Ein Hall-Sensor ist gegenüber Umgebungseinflüssen deutlich robuster als ein MR-Sensor. Warum beschäftigen Sie sich dennoch mit MR-Technologie?

Philipp Kaim (Baumer): AMR-Sensoren bieten gegenüber einem Hall-Sensor den Vorteil, dass sie eine doppelte Auflösung mit sich bringen, d.h. zwei Signalperioden pro Polpaar. Wichtig wird das vor allem im Bereich der Antriebsregelung. Zudem sind AMR-Sensoren deutlich robuster gegenüber Abstandstoleranzen. Gerade bei lagerlosen Systemen ist das ein wichtiges Kriterium, da die Integration in die Kundenmechanik damit deutlich einfacher wird.

Dr. Peter Velling (Lenord+Bauer): Die Hall-Technologie ist etabliert, verfügbar und recht unabhängig von der Richtung, in der ein Magnetfeld einstrahlt. Wenn sie allerdings in Richtung AMR und GMR gehen, ist der Sensor empfindlicher gegenüber der Ausrichtung. GMR ist ein großer Effekt, der bereits bei einem kleinen Magnetfeld stattfindet, das heißt ich kann das Sensorelement sehr viel kleiner dimensionieren, als bei einem Hall-Sensor, und erreiche damit immer noch eine ausreichende Messspannung. Hall ist zudem aufgrund der Abhängigkeit von B-Quadrat nicht linear, während GMR-Sensoren um den Arbeitspunkt ein sehr lineares Verhalten aufweisen.

Andrej Metljak (RLS): Ein Vorteil von Hall-Sensoren ist aber, dass sie mit einem CMOS integriert werden können, was Embedded-Designs ermöglicht. Wir müssen also nicht mehrere diskrete Elemente verwenden, sondern nur noch einen integrierten Chip, der für spezifischen Anwendungen kleiner und günstiger ist.

Jörg Paulus (Posital): MR bringt über die Signalverstärkung klare Vorteile. Miniaturisierung und auch größere Abstände sind Punkte, die Kunden einfach haben wollen, und daher wird MR in Zukunft auch mehr eingesetzt werden.

Eine andere Möglichkeit, Auflösungen hochzutreiben, sind Nonius-Spuren. Wer von Ihnen setzt bereits eine Nonius-Codierung ein?

Kaim: Wir setzen Nonius in optisch gelagerten Drehgebern und in lagerlosen magnetischen Systemen ein. Nonius ist aber in erster Linie eine Technologie zur Bestimmung der Absolutposition.

Velling: Nonius versetzt die magnetische Welt in die Lage, auch Hohlwellensysteme absolut zu machen. Auch wir haben daher das Nonius-System im Einbaugeber dreispurig und als lagerloses System zweispurig mit einem Abtastkopf. Die Maßverkörperung für das lagerlose System sind dann zwei Zahnräder bzw. eine eigene Maßverkörperung, die 64 und 63 Zähne hat, um das Nonius-Verfahren anwenden zu können. Das besondere an dem Verfahren ist, dass man eine Maßverkörperung hat, die erst einmal Singleturn absolut ist. Dann kommt es darauf an, dass sie mit einer Signalauswertung in der Lage sind, aus der Singleturn-Maßverkörperung eine höhere Auflösung zu generieren und die Absolutposition nachher mit einer hohen Genauigkeit anfahren zu können.

Metljak: Wir verwenden Nonius nicht, da wir eine eigene patentierte Technologie haben, die wir schon lange in unseren AksIM-Encodern einsetzen. Die Technologie basiert auf einem Ring mit einer Random-Codierung und unseren ASIC auf der Sensorseite. Der Ring ist ein Raster von Hall-Sensoren, der das magnetische Bild abliest und die absolute Position bestimmt. Der Vorteil gegenüber Nonius ist, dass wir vollkommen flexibel in den Größen sind, das heißt Varianten von 22 bis 150mm möglich sind.

Wie sieht es mit

Absolut-Systemen aus?

Paulus: Wir sind auf dem On-Axis-System und daher immer in der absoluten Singleturn-Position unterwegs. Bei uns kommt das Signal im Hall-Sensor direkt als absolutes System raus, weshalb Nonius für uns nicht relevant ist. Unsere magnetischen Systeme funktionieren hervorragend zusammen mit der Wiegand-Technologie, wodurch wir einen absoluten Singleturn mit einer Multiturn-Zählung kombinieren. Der Wiegand-Sensor wird über das identische Magnetfeld betrieben. Daraus ergibt sich im Gesamtpaket ein preislicher Vorteil für den Kunden.

Metljak: Zurzeit verwenden wir Multiturn, aber mit einer Back-Up-Batterie. Langfristig wird es von uns auch ein batterieloses System geben.

Kaim: Bei absoluten Multiturn-Drehgebern bieten wir, je nach Einsatzfall, drei verschiedene Technologien. Neben batteriegestützten Systemen haben wir auch zwei energieautarke Multiturn-Technologien im Serieneinsatz. Sehr kompakte Drehgeber setzen auf das Wiegand-System. Bei robusteren Drehgebern bietet unsere Microgenerator-Technologie z.B. den Vorteil einer sehr viel größeren Energieausbeute. Gerade bei lagerlosen Systemen bieten batteriegestützte Systeme hingegen den großen Vorteil, dass sie deutlich robuster gegenüber mechanischen Lagetoleranzen sind.

Arnold Hettich (Kübler): Unsere lagerlosen Systeme sind hauptsächlich im Bereich der Inkrementalgeber, aber wir arbeiten auch an lagerlosen Lösungen, um zukünftig auch kostengünstige Absolutwertgeber inklusive Multiturn anbieten zu können. Obwohl wir im Bereich magnetischer Sensorik sehr viele Lösungen haben, sehen wir auch neue Technologien, die zukünftig die Vorteile von lagerlosen Drehgebern und optischer Sensorik vereinen. Mehr möchte ich dazu aber im Augenblick noch nicht verraten.

Gibt es auch andere kostengünstige Ansätze, wo lagerlose magnetische Absolutwertgeber die klassischen On-Axis-Drehgeber ablösen werden?

Velling: Wenn Achsgeber am ungefederten Teil eines Schienenverkehrfahrzeuges angebracht sind, spielt Masse eine wichtige Rolle. Man möchte diese Masse dort nicht haben, da ein Achsgeber bis zu vier Kilogramm wiegen kann. Wenn man dort Einbausysteme einsetzt, bauen diese leichter und sparen Bauraum. Bei Hohlwellenmotoren dagegen gibt es heute noch Lösungen, bei denen die Hohlwelle über einen Zahnriemen auf einen optischen Drehgeber gezogen wird, der irgendwo neben dem Motor ist. Die Kunden haben den Zahnriemen als Verschleißteil und begrenzenden Faktor bei Beschleunigungen erkannt. Dort werden mit Sicherheit zukünftig auch Magnetsysteme zum Einsatz kommen.

Hettich: Neben der Integration in den Motor haben magnetisch-lagerlose Geber den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer kompakten axialen Maße auch a-seitig an große Motoren und Generatoren montiert werden können, ohne, dass dort konstruktive Änderungen erforderlich sind. Ein lagerloser Magnetgeber passt immer noch bequem zwischen die Kupplung und die a-Lagerseite eines 4,8MW Windkraftgenerator bis zu einem Wellendurchmesser von 170mm. Auch im Bereich funktionaler Sicherheit für Heavy-Duty-Geber sind lagerlose Drehgeber prädestiniert. Dort kann man mit zwei Sensorköpfen ein redundantes System realisieren. Allerdings handelt es sich dabei um sichere Geschwindigkeit. Einfache lagerlose Systeme werden nur dort zum Einsatz kommen, wo heute noch gar keine Drehgeber im Einsatz sind, z.B. bei Motoren, die energieeffizienter betrieben werden müssen und nur einfache Streckengeber notwendig sind.

Metljak: Wenn wir über eine Elektromotorsteuerung reden und dort einen On-Axis-Encoder verwenden, kostet eine Platine um die 10€ und ein diametraler Magnet 1€. Andererseits, wenn man eine höhere Genauigkeit braucht, also einen absoluten Ring-Encoder, sind die Vorteile eine einfache Integration, kleine Einbaugröße und flexible Durchmesser.

Kaim: In nahezu allen wichtigen Drehgeberbranchen sehen wir bereits magnetisch-lagerlose Systeme. Das betrifft heute nicht nur die Antriebstechnik, sondern auch Anwendungen in rauen Umgebungen, wie z.B. Baumaschinen oder Windkraftanlagen. Klassische gelagerte Drehgeber werden vor allem mit zunehmender Größe wirtschaftlich uninteressant, da dann die Kugellager mit ihren Kosten dominieren. Besonders attraktiv werden lagerlose Systeme durch den Wegfall aufwendiger Adaptionen z.B. für den Riemen- oder Ritzelanbau.

95% der Anwendungen sind immer noch gelagerte Systeme und lagerlos nur 5%. Stimmen diese Zahlen noch?

Kaim: Das Wachstum unserer lagerlosen Systeme ist seit Jahren überdurchschnittlich. Auch die Anzahl der Applikationen sowie die Awareness am Markt für die Vorteile der Systeme nimmt weiter zu.

Paulus: Das große Wachstum bei den lagerlosen Gebern ist bei den Open-Loop-Servoschrittmotoren, von denen in Asien Millionen Stück gebaut werden. In Europa arbeiten dagegen die großen Motordrehgeber-Spieler mit gelagerten Systemen. Wir sehen aber einen klaren Trend, dass lagerlose Systeme weiter große Marktanteile gewinnen werden und in Systemen zum Einsatz kommen, wo bisher überhaupt noch kein Sensor drin ist. Dies ist so, da wir in Kostenbereiche kommen, die früher überhaupt nicht für Drehgeber dieser Performance-Klasse denkbar waren.

Wie sieht es mit Functional Safety und lagerlosen Systemen für SIL2/PLd und SIL3/PLe aus?

Hettich: Wir sehen im Heavy-Duty-Bereich SIL2-/SIL3-Zulassungen für lagerlose Systeme, die aus einer Maßverkörperung und einem Sensorkopf bestehen. Allerdings ist es so, dass der gesamten Antrieb bzw. die Applikation zugelassen werden muss.

Metljak: Wir fokussieren uns auf Encoder, die eine Zertifizierung auf Systemebene ermöglichen. Wir haben redundante Systeme, meist mit einem Ring und zwei unabhängigen Leseköpfen, aber auch Encoder, die auf einer Platine zwei verschiedene Sensoren, Signalverarbeitungen und Power Supplies haben.

Paulus: Auch wir haben im Standalone-Bereich seit vielen Jahren Erfahrungen mit zertifizierten SIL-Gebern. Theoretisch hört sich das einfach an: Man hat einen zertifizierten Geber, den man in eine Maschine einbaut und alles ist gut. In der Realität ist das leider deutlich komplexer. Es geht darum, die richtige Kommunikation mit dem Kunden über die Applikation zu haben. Im Grunde ist Safety eine Integrationsaufgabe und nichts, wo man einfach einen Stempel erhalten hat und dann plötzlich Safety da ist.

Kaim: Auch wir sehen neben zertifizierten Produkten einen Trend hin zu Safety-Lösungen, bei denen ein Drehgeber als Komponente im System zertifiziert wird. Wir liefern hier Antworten in Form von Dokumentationen, so dass unsere Kunden sowohl gelagerte als auch lagerlose Drehgeber in Safety-Applikationen einsetzen können. Kritisch ist dies vor allem im Hinblick auf zunehmende Embedded-Software im Bereich der Sensorik. Redundanz schützt eben nicht vor systematischen Fehlern. Baumer bietet hier Gewissheit durch eindeutige Herstellererklärungen zur Bestätigung normkonformer Entwicklungsprozesse.

Velling: Auch wir sind auf Safety durch redundante Systeme vorbereitet. Wenn man aber das Thema Resolver sieht, müsste man dort einen kompletten zweiten Resolver aufschieben. Allerdings kann man eine Maßverkörperung nicht noch mal verwenden. Hier bieten Einbausysteme mit einer Maßverkörperung und Abtastköpfen Vorteile in der Redundanz.

Wie lange dauert es noch, bis lagerlose Systeme die gelagerten Systeme abgelöst haben?

Hettich: Aus unserer Sicht werden bis auf Weiteres sowohl gelagerte als auch lagerlose Drehgeber zum Einsatz kommen. Gelagerte Drehgeber sind etabliert und haben sich bewährt. Es gibt aber Applikationen, bei denen lagerlose Drehgeber bereits heute klare Vorteile bieten.

Velling: Wir wachsen derzeit mit unserem lagerlosen System überproportional, weil wir aufgrund der hohen Genauigkeiten neue Applikationen bedienen können.

Metljak: Es wird langfristig beide Technologien geben, weil es für jeden Drehgeber entsprechende Applikationen gibt.

Kaim: Ein kurzfristiges Ende der gelagerten Geber sehen wir nicht. Wir sehen aber ein starkes Wachstum im Bereich lagerloser Geber und investieren daher weiterhin in innovative Technologien z.B. im Bereich der Magnetisierung und Signalauswertung.

Paulus: Die lagerlosen Systeme werden bei den Stückzahlen die gelagerten klar überholen. Ganz sicher gibt es aber Applikationen, bei denen gelagerte Systeme auch in 15 Jahren noch die richtige Lösung sein werden.

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