Antriebselektronik nach Maß

Mit seinen CNC-Lösungen für die Leiterplattenfertigung ist Sieb & Meyer bis heute sehr erfolgreich. Der Fokus in Europa liegt laut Vorstandsmitglied Torsten Blankenburg aber auf der Antriebselektronik.
Mit seinen CNC-Lösungen für die Leiterplattenfertigung ist Sieb & Meyer bis heute sehr erfolgreich. Der Fokus in Europa liegt laut Vorstandsmitglied Torsten Blankenburg aber auf der Antriebselektronik.

Obwohl Sieb & Meyer seit Jahrzehnten auf CNC-Steuerungen spezialisiert ist, kennt man das Unternehmen vor allem wegen seiner Antriebselektronik. Wie kommt das?

Torsten Blankenburg: Das wird mit Blick auf die Historie deutlich. Der Markt für CNC-Steuerungen ist zu einem Großteil von typischen Zerspanlösungen für Werkzeugmaschinen geprägt. Sieb & Meyer ist hingegen anders ausgerichtet. Schon seit den 1970er-Jahren beschäftigen wir uns mit CNC-Technik – damals noch NC-Technk. Die Technik steckte noch in den Kinderschuhen, entwickelte sich aber sehr dynamisch. Als Spezialdisziplin entdeckte Sieb & Meyer das Bohren und Fräsen von Leiterplatten für sich. So nahmen die Unternehmensgründer dieses Marktsegment Anfang der 1980er-Jahre in den Fokus und positionierten sich als Pionier in der aufstrebenden Elektronikproduktion. Vor allem in einer Hinsicht.

In welcher?

Schon damals galt die Devise, im System zu denken, und für Hochfrequenzspindeln eine vollständige Elektronik-

lösung anzubieten. Schließlich benötigt der Anwender nicht nur die CNC-Steuerung, sondern auch Antriebstechnik und I/O-Module – am besten abgestimmt im Komplettpaket aus einer Hand. Dieses Angebot hat sich für Sieb & Meyer schnell zu einem USP entwickelt.

Mit dem sich das Unternehmen bis heute im Leiterplattenmarkt positioniert.

So ist es. Bis heute ermöglicht das Rundum-Sorglos-CNC-Paket unseren Kunden, neue Maschinen schnell zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Eben typisch Mittelstand: Wenn man sich mal auf einen Weg festgelegt hat, geht man ihn auch weiter. Diese bedingungslose Fokussierung gibt den Ausschlag, warum Sieb & Meyer in der Leiterplattenindustrie nach wie vor so stark ist. Hohe Prozesssicherheit muss man sich lange erarbeiten. Entsprechend sind 40 Jahre Erfahrung nicht so leicht zu schlagen. Das mussten selbst die großen Automatisierungs-Platzhirsche irgendwann einsehen.

Die Elektronikindustrie ist aber doch komplett abgewandert.

Richtig. In den jungen Jahren der Elektronikindustrie kamen mit Deutschland, Italien und der Schweiz führende Nationen aus Europa. Als Systemanbieter war Sieb & Meyer nicht nur für die hiesigen Maschinenbauer sehr attraktiv, sondern auch für die Konkurrenz in Asien: Denn mit unseren vorbereiteten Paketen – heute würde man Plug&Play-Lösung sagen – waren diese Anbieter ebenfalls schnell in der Lage, die Leiterplattenfertigung abzudecken. So hat sich der Markt für Maschinenbauer analog mit dem Anwendermarkt nach Asien verlagert – und auch unser Absatzmarkt als Ausrüster der Branche.

Wie kam es dann zur ergänzenden Positionierung im Antriebsbereich?

Wenn es um das mechanische Bearbeiten von Leiterplatten geht, geht es schnell um Spindelgeschwindigkeiten von 60.000 bis 80.000U/min. Mitte der 1980er-Jahre, als Sieb & Meyer die Expertise dafür aufbaute, war der Differenzierungsgrad bei hochdynamischer Servotechnik noch nicht stark ausgeprägt. Um welche Applikation es konkret ging, war weniger entscheidend. Man konnte also mit einem Produkt – sozusagen als eierlegender Wollmilchsau – mehrere Anwendungsbereiche bedienen. Das änderte sich mit der Zeit. Antriebslösungen wurden immer exakter an die jeweilige Applikation angepasst. So auch in der Leiterplattenfertigung. Sieb & Meyer wollte sich aber nicht ausschließlich auf den dort vorherrschenden Formfaktor festlegen. Folglich entschied man in den 1990er-Jahren zur mehrgleisigen Strategie: Nicht nur mit verschiedenen Geräten und Bauformen, sondern auch mit unterschiedlichen Entwicklungsteams.

Ging diese Rechnung für Sieb & Meyer auf?

Durchaus. Die Diversifizierung begann in den 1990er-Jahren und setzt sich bis heute fort. Entsprechend stark unterscheiden sich unsere Antriebsprodukte heute je nach Zielapplikation. Selbst wenn der grundlegende Zweck – Spindeln mit extrem hoher Geschwindigkeit anzutreiben – überall der gleiche ist: Wir sind nur so gut, weil wir uns so stark fokussieren.

Und dennoch wächst Ihr Antriebsportfolio kontinuierlich.

Das stimmt. Aber eine Eigenschaft ist allen unseren Geräten gemein: die Ausrichtung auf hohe Dynamik und Geschwindigkeit. Das war ja schon im Bereich Leiterplattenbearbeitung so. Heute rüsten wir z.B. viele anspruchsvolle Handhabungsanwendungen mit unseren Servoreglern aus. Da sich mit unserer Technik niedrige Nennströme mit hohen Spitzenströmen gut kombinieren lassen, hat sich auch die Schraubtechnik zu einem sehr attraktiven Feld entwickelt. Denn dort ist ja für kurze Zeit hohe Überlast gefragt. Zudem können wir die steigenden Ansprüche in Sachen Dokumentation, etwa im Automotive-Bereich, mit den Daten aus unseren Reglern wunderbar abdecken. Den zweiten zentralen Produktbereich in unserem Antriebsportfolio bilden die Frequenzumrichter. Auch sie sind seit jeher hochdynamisch ausgelegt. Neben hochdrehenden zerspanenden Prozessen wie Fräsen oder Schleifen hat sich in diesem Bereich vor allem auch das Marktsegment der Turbomaschinen bei uns etabliert.

Wie kam es dazu?

Als Mittelständler müssen wir uns entlang unserer Kernkompetenzen entwickeln. Unser Fokus auf Hochgeschwindigkeit passte natürlich auch sehr gut für Turboverdichter. Allerdings kamen wir dort mit dem ursprünglichen Leistungsspektrum bis 100kW nicht weit. An dieser Stelle mussten wir unser Angebot ordentlich erweitern. Mittlerweile beliefern wir damit viele spannende Anwendungen in der Prozessindustrie, Pharmaproduktion oder Lebensmittelherstellung. Wir haben uns also dahin bewegt, wo unsere Expertise gut ankam. Doch auch das bedeutet großen Aufwand. Schließlich wollen wir uns in neuen Umgebungen genauso gut auskennen, wie dort, wo wir eigentlich herkommen. Die eierlegende Wollmilchsau aus den 1980er-Jahren, hat sich aus unserer Perspektive längst ins Gegenteil gekehrt. Ein großer Erfahrungsschatz und genaues Applikationswissen sind unerlässlich, um die spezifischen Bedürfnisse der Anwender erfüllen zu können. Deshalb sind alle Features unserer Drive Controller passgenau auf den jeweiligen Einsatzzweck abgestimmt: Formfaktor und Größe, Funktionsumfang und Software, Leistung, Kühlkonzept oder Schnittstellen.

Ist das nicht irrsinnig aufwändig?

Nicht mit dem richtigen Unterbau. Denn für alle fokussierten Anwendungen gibt es bei uns Standardgeräte. Von dieser Basis kommen wir dann in der Regel ohne exorbitanten Aufwand zur jeweils gewünschten Kundenadaption.

Handelt es sich also um einen Baukasten?

Das ist Definitionssache. Auf CNC-Seite haben wir einen exakt aufeinander abgestimmten Baukasten, aus dem sich der Anwender das zu seinen Anforderungen passende Plug&Play-System zusammen stellen kann. Bei unserem Antriebsangebot ist es anders. Hier bekommt der Kunde die Plug&Play-Lösung auf seine Anwendung maßgeschneidert von uns. Deswegen würde ich nicht von einem Baukasten sprechen. Dennoch denken wir von Beginn an modular – auf Hardware- wie auf Software-Seite. Sonst wäre unser Angebot überhaupt nicht abzubilden. Zudem müssen wir eine hohe Wertschöpfungstiefe sicherstellen und die Entwicklung agil halten. Schließlich gilt es bei jeder Anfrage zu kalkulieren, ob sie sich bezahlbar umsetzen und nachhaltig in unser Portfolio integrieren lässt.

Wie geht es weiter? Wo führen die nächsten Schritte das Unternehmen Sieb & Meyer hin?

Im Leiterplattenbereich geht es auch weiterhin darum, das entscheidende Quäntchen besser zu sein als der Wettbewerb. Wegen unkalkulierbaren Veränderungen des Marktes durch politische Rahmenbedingen, brauchen wir als Mittelständler natürlich auch stets einen Plan B. Unabhängig davon, wie der im Detail aussieht, wird die Antriebselektronik als zweites Standbein von Sieb & Meyer auf jeden Fall weiter gestärkt. Dabei begegnen uns aktuell viele spannende Technologien, die die produzierende Industrie dauerhaft verändern und prägen werden. Egal ob IoT, Analytics, Predictive Maintenance oder KI: Unsere Antriebselektronik muss für all diese Trends vorbereitet und ausgerüstet sein.

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