Interview mit Stefan Ziemba, IAI Industrieroboter

Der Wandel von der Pneumatik hin zur elektrischen Antriebstechnik in der Fabrik wurde schon vor vielen Jahren eingeleitet, schreitet aber eher zögerlich voran. Woran liegt das, Herr Ziemba?

Stefan Ziemba: Bei der Wahl der Technik geraten die meisten Anwender in einem Zwiespalt. Ganz klar: Elektrische Antriebe sind der modernere Weg. Aber es gibt in Deutschland so gut wie keine industrielle Produktionsstätte ohne pneumatische Ringleitung. Das Medium Druckluft ist seit Jahrzehnten etabliert und entsprechende Anschlüsse finden sich quasi in jeder Ecke der Fertigung. Zudem ist das Funktionsprinzip unschlagbar einfach: Ein Zylinder, zwei Positionen – vorwärts, rückwärts, fertig. Ein weiterer, vermeintlicher, Vorteil: Die Anschaffungskosten von einem pneumatischen Aktuator im Vergleich zu einem elektrischen liegen nicht selten bei einem Bruchteil.

Sollte der Blick des Anwenders nicht längst über den reinen Einkaufspreis hinausgehen?

Natürlich. Man muss bei der Pneumatik stets das Gesamtsystem betrachten: vom Kompressor, der die Druckluft erzeugt, über die Installation der Ringleitung bis zum kontinuierlichen Energieverbrauch. Es ist eben sehr einfach für den Anwender, auf eine Technologie zu setzen, die ohnehin schon da ist.

Aber elektrischer Strom ist in aller Regel doch ebenfalls flächendeckend in der Fabrik zugänglich.

Ja schon, aber bei der Inbetriebnahme von Pneumatikzylindern reicht oft etwas Fingerspitzengefühl. Das ist bei Elektroaktuatoren ganz anders, denn man muss sich mit vielen verschiedenen Aspekten auseinandersetzen – etwa Steuerungstechnik und Programmierung. Neben dem Bestand ist also auch das Knowhow im Unternehmen ein entscheidender Punkt – und zwar vom Engineering und der Inbetriebnahme bis zur Wartung. Deshalb muss man nicht nur Konstrukteure und Einkäufer überzeugen. Sondern auch die Instandhalter. Dabei stellt der Technologiewechsel zu elektrischen Antrieben Vorteile für all diese Zielgruppen in Aussicht.

Es wird ja aktuell oft von einem Generationswechsel gesprochen, der sich in der Fabrik abzeichnet – hin zu digitalisierungsaffineren Entscheidern. Betrifft dieser auch den Shift von der Pneumatik zur Elektrik?

Eindeutig. Bei den Jüngeren haben Elektroaktuatoren fast immer gute Karten. Sie haben deren Vorteile schon während der Ausbildung verinnerlicht – auf dem Weg zum Mechatroniker, Automatisierungstechniker oder Ingenieur. Da ist dann natürlich ein ganz anderes Grundverständnis vorhanden als bei Leuten, die schon 20 Jahre oder mehr im Beruf sind. Und so drängen nicht selten die jüngeren Kollegen die älteren regelrecht dazu, sich mit der elektrischen Antriebstechnik zu beschäftigen.

Weil sie um deren Vorteile wissen.

Genau. Man hat immer die volle Prozesskontrolle und kann alle Parameter exakt so auslegen, wie es für die Bewegung in der jeweiligen Anwendung am besten passt: Beschleunigung, Bremszyklen, Zwischenstopps – sanft oder abrupt. Das ist mit klassischen Druckluftzylindern nicht machbar. Höchstens mit moderner Servopneumatik. Doch dann wird es sehr schnell sehr komplex und teuer.

Könnte die Servopneumatik den Wandel zur elektrischen Antriebstechnik künftig stoppen?

Flächendeckend ist das nicht zu erwarten. Selbst die Pneumatik-Marktführer, die – egal ob in Europa oder Asien – schon seit Jahren ihr Angebot an Elektroaktuatoren ausbauen, scheinen das nicht zu tun.

Also sind Aktuatoren im Vergleich zu Pneumatikzylindern immer die bessere Wahl?

Nein. Komplett pauschalisieren kann man es nicht. Es wird immer Anwendungen geben, in denen Pneumatik die richtige Wahl bleibt – etwa mit Blick auf spezielle Dynamik- oder Sicherheitsfragen. In den allermeisten Anwendungen überwiegen aber letztlich doch die Vorteile der elektrischen Antriebstechnik. Das belegen die Marktsegmente, die den Wandel in der Breite schon vollzogen haben – etwa der Automobilbau. Diese Branche ist ja traditionell in Sachen Automatisierung weit voraus und vermeidet längst pneumatische und hydraulische Anwendungen, wo es nur geht.

In wie weit kann sich der Mittelstand ein Beispiel an solchen Vorreitern nehmen?

Der Mittelstand sieht sich ganz anderen Verhältnissen gegenüber – gerade mit Blick auf die Kosten. Selbst wenn bei vielen KMU Innovation und TCO eine wichtige Rolle spielen, können sie nicht ohne weiteres die Produktion bzw. große Anlagenteile von Pneumatik auf Elektrik umstellen. Entsprechend wichtig ist es deswegen, bei Neuinvestitionen auf moderne Technik zu setzen. Als gute Vorgehensweise hat sich erwiesen, im ersten Schritt einen Teilbereich zu elektrifizieren, und diesen dann im Betrieb mit einer anderen, noch pneumatisch ausgestatteten Anlage zu vergleichen. Beherzigen Anwender diesen Rat, folgt das nächste Elektrifizierungsprojekt meist schnell. Aber auch der Mittelstand lässt sich nicht über einen Kamm bürsten.

Wie meinen Sie das?

Nun, es ist ja ein großer Unterschied, ob ein mittelständisches Unternehmen 20, 200 oder 2.000 Mitarbeiter hat. Man muss – auch wenn es sich bei der Elektroaktuatorik um die fortschrittlichere Technik handelt – bei Kosten und Knowhow erst einmal in Vorleistung gehen können. Das machen wir den Anwendern auch unmissverständlich klar. Es wäre vermessen, falsche Erwartungen zu wecken. Stattdessen muss man miteinander sprechen und gemeinsamen einen Weg finden, wie man die neue Technik in die Anwendung bringen kann. Und das braucht eben auch seine Zeit – auch und gerade bei Bestandsanlagen.

Von denen es in Deutschland und Europa ja eine große Menge gibt.

Genau. Kaum ein Unternehmen hat hierzulande die Möglichkeit, eine Fertigungslinie auf der grünen Wiese komplett neu hochzuziehen. Doch auch beim Retrofit bieten Elektrozylinder großes Potenzial. Das zeigt das Beispiel eines mittelständischen Kunststoffverarbeiters. Der trat mit dem Wunsch an IAI heran, eine Reihe von Pressen – rund 50 Jahre alt – von Pneumatik auf Elektroaktuatorik umzurüsten, um den Prozess besser steuern zu können. Nicht einfach für unsere Techniker. Schließlich gab es an den Maschinen kaum Automatisierungstechnik. Dennoch wurde ein guter Weg für die Nachrüstung gefunden – sogar ohne die komplette Produktion stoppen zu müssen. Jetzt können die Pressen locker nochmal 50 Jahre laufen.

IAI hat seinen Hauptsitz in Japan. Wie verläuft die Entwicklung denn dort?

Die Japaner sind sehr technologieorientiert. Während man der Automatisierung in unserer Gesellschaft immer noch mit Vorbehalten entgegentritt, ist die Akzeptanz dort selbstverständlich. Deshalb werden neue Werke und Produktionslinien in Japan üblicherweise nur noch mit elektrischen Aktuatoren ausgestattet. Es zählt die mittel- und langfristige Perspektive. Und die sagt: energieschonender, wartungsärmer, kostengünstiger und deutlich mehr Funktionalität.

Wie sieht es in China aus?

China rückt auch in diese Richtung vor, denn dort ist man sehr stolz auf den eigenen technologischen Fortschritt. Entsprechend pragmatisch geht man vor. Ähnliches lässt sich übrigens auch mit dem Blick nach Nordamerika beobachten. Die dortige Fertigungstechnik hatte lange den Ruf, nicht ganz state of the art zu sein. Aber seit die USA die industrielle Renaissance ausgerufen haben, ändert sich das gewaltig. Andere Beweggründe als in Asien, allerdings mit dem gleichen Ergebnis: Die elektrische Antriebstechnik wird unwahrscheinlich stark gepusht.

Sie sprachen den hohen Stellenwert der Gesamtkostenbetrachtung in Japan an. Warum bleiben hierzulande die Investitionskosten oft der dominierende Aspekt?

Auch in Deutschland geht die Entwicklung in Richtung TCO-Betrachtung. Es lässt sich eben nicht ignorieren, dass die Zahlen mittel- und langfristig eine eindeutige Sprache sprechen. Der Kaufpreis eines elektrischen Aktuators beträgt zwar das Vielfache eines klassischen Druckluftzylinders. Doch mit Blick auf die Gesamtkosten dreht sich die Situation. Denn nichts ist effizienter, als den elektrischen Strom direkt in Bewegung umzusetzen. Rechnet man die technischen Vorteile dazu, etwa die aus der Antriebsregelung resultierende Flexibilität, dann dürfte sich die Frage nach der besseren Technik eigentlich gar nicht mehr stellen. Dann gewinnen Elektroaktuatoren in 99 von 100 Fällen den Vergleich. Erst recht, wenn man Ausfallzeiten in die Rechnung mit einbezieht.

Was heißt das?

Elektrische Antriebstechnik ist im Betrieb deutlich zuverlässiger und langlebiger. Und selbst wenn es zu Störungen, oder Instandhaltungsmaßnahmen kommt: Eine durchgängig elektrifizierte Anlage lässt sich nach einem Stillstand meist viel schneller wieder hochfahren. Diese Erkenntnisse sind übrigens alles andere als neu. Sie bilden seit der Unternehmensgründung von IAI den Kern all unserer Bemühungen. Deswegen war das Angebot von Anfang an rein elektrisch. Und das bleibt es auch.

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