Neue Perspektiven für Gleichstromnetze

Bild 1 | DC-Verteilsysteme gewinnen in der Schifffahrt zunehmend an Popularität, sei es wie hier auf Kreuzfahrtschiffen oder auf Frachtschiffen.
Bild 1 | DC-Verteilsysteme gewinnen in der Schifffahrt zunehmend an Popularität, sei es wie hier auf Kreuzfahrtschiffen oder auf Frachtschiffen.
Bild 1 | DC-Verteilsysteme gewinnen in der Schifffahrt zunehmend an Popularität, sei es wie hier auf Kreuzfahrtschiffen oder auf Frachtschiffen.
Bild 1 | DC-Verteilsysteme gewinnen in der Schifffahrt zunehmend an Popularität, sei es wie hier auf Kreuzfahrtschiffen oder auf Frachtschiffen.Bild: ABB Stotz-Kontakt GmbH

Im Zuge der fortschreitenden elektrischen Transformation und der intensiven Bemühungen um CO2-Neutralität gewinnen Gleichstromlösungen in der elektrischen Energieverteilung und insbesondere im Niederspannungsbereich (NS) zunehmend an Bedeutung. Aufgrund der im Vergleich zu Wechselstrom-(AC-)Lösungen höheren Effizienz ermöglichen Gleichstrom-(DC-)Lösungen die Elektrifizierung einer Vielzahl neuartiger Lasten, z.B. im Transportwesen, in der Industrieautomation, in der Klimatechnik usw. Dies wiederum treibt die Integration von erneuerbaren Energien und die Implementierung von Energiespeichern im Stromnetz voran. Aufgrund der wirtschaftlichen Vorteile, die die DC-Technologie in den verschiedenen Anwendungen ermöglichen kann, gilt deren Wachstumspotenzial als äußerst vielversprechend. Dies gilt besonders im Hinblick auf die höhere Effizienz und die dadurch geringeren Energiekosten, die mithilfe DC-gekoppelter Energiespeicher noch weiter verbessert werden können. Aufgrund dieses Effizienzvorteils werden DC-Lösungen bereits heute zunehmend in der Schifffahrt eingesetzt. Dennoch gibt es bedeutende Hürden, z. B. im Hinblick auf den Fehlerschutz und die Fehlerisolierung. Die Hauptherausforderung resultiert aus der für diese Hochleistungs-DC-Systeme charakteristischen geringen Induktivität im Gesamtleistungspfad, deren Auswirkung im Fehlerfall in der Kombination mit zusätzlichen, direkt DC-gekoppelten Hochleistungs-Energiespeichern noch verstärkt wird. Kommt es zu einem Kurzschluss, ist die Anstiegszeit des resultierenden, sehr hohen Fehlerstroms aufgrund der geringen Induktivität (und des geringen spezifischen Widerstands) erheblich kürzer als bei AC-Anwendungen (mehrere Hundert Mikrosekunden oder weniger), was eine erhebliche Herausforderung für einen konventionellen Leistungsschalter darstellt. Um den Fehlerstrom zu begrenzen und zu löschen, muss das Gerät schnellstmöglich eine Gegenspannung aufbauen, die mindestens der Nennbetriebsspannung des Systems entspricht. Bestehende DC- und AC-Systeme mit elektromechanischen Leistungsschaltern nutzen dazu Löschmechanismen, die den entstehenden Lichtbogen teilen, kühlen und die Lichtbogenenergie über eine Lichtbogenkammer abführen. Diese Methode eignet sich zwar zur Stromunterbrechung in den meisten bestehenden Anwendungen, ist aber – je nach Schaltergröße – mit mehreren Dutzend Millisekunden zu langsam für die sich entwickelnden neuen DC-Anwendungen. Halbleiterbasierte Leistungsschalter (Solid-State Circuit Breakers, SSCBs) nutzen sogenannte Leistungshalbleiter (Power Semiconductors) mit hoher Stromtragfähigkeit und Schaltgeschwindigkeiten im Mikrosekundenbereich, um die erforderliche Freischaltung des Stromkreises und eine ultraschnelle und sichere Unterbrechung der erwähnten schnell ansteigenden Fehlerströme in DC-Anwendungen zu gewährleisten. Mit dem Ziel, eben jene DC-Systeme der Zukunft zu ermöglichen und somit den Weg für eine nachhaltige Energiewende zu ebnen, hat ABB den Sace Infinitus entwickelt, einen halbleiterbasierten Leistungsschalter, der die Problematik des Fehlerschutzes und der Fehlerisolierung mit einem einzigen All-in-one-Gerät löst.

Bild 3 | Vergleich der Verluste beim RB-IGCT mit anderen Halbleitern
Bild 3 | Vergleich der Verluste beim RB-IGCT mit anderen HalbleiternBild: ABB Stotz-Kontakt GmbH

Geringere Leistungsverluste, höherer Wirkungsgrad

Eine bisher bestehende Hürde beim Einsatz von SSCBs sind die höheren Durchlassverluste aufgrund des größeren Spannungsabfalls über dem Halbleiter im Vergleich zum typischerweise geringen Kontaktwiderstand in einem herkömmlichen elektromechanischen Leistungsschalter. Ein weiterer Nachteil höherer Verluste – neben der verringerten Effizienz – ist die sich dadurch ergebende Notwendigkeit zur Abfuhr der entstehenden Wärme. Selbst das effizienteste Kühlsystem kann die unerwünschte Zunahme der Größe, Komplexität und Kosten nicht kompensieren. Ein IGBT (Insulated Gate Bipolar Transistor) ist nicht nur in der Lage, Ströme schnell und effektiv ein- und auszuschalten, er lässt sich auch leicht steuern. IGBTs stellen den Stand der Technik bei Stromrichteranwendungen dar, weisen aber in Leistungsschalteranwendungen höhere Durchlassverluste auf, was besonders bei hohen Nennströmen eine erhebliche Herausforderung darstellt. Im Jahr 1996 hat ABB den IGCT (Integrated Gate-Commutated Thyristor) in Verbindung mit Mittelspannungs-(MS-)Umrichtern auf den Markt gebracht. Der IGCT zeichnet sich durch eine niederinduktive Ansteuereinheit (Gate-Treiber) und ein vollständig steuerbares Gate aus. So kann der Halbleiter ähnlich wie ein Thyristor Strom einschalten und mit sehr geringen Verlusten leiten und gleichzeitig wie ein IGBT oder ein Transistor auch abschalten – eine gute Grundlage für einen halbleiterbasierten Leistungsschalter. Der Sace Infinitus geht noch einen Schritt weiter. Er nutzt einen speziellen rückwärts sperrenden IGCT (RB-IGCT), der einen Thyristor und eine in Reihe geschaltete Diode zum Schutz gegen Rückwärtsspannungen in einem einzigen Siliziumwafer integriert. Durch diese Integration auf Waferebene wird ein besonders niedriger Spannungsabfall in Durchlassrichtung erreicht. Im Zusammenspiel mit einem antiparallel geschalteten zweiten RB-IGCT, der das Durchleiten und Abschalten in entgegengesetzter Richtung ermöglicht, lassen sich bidirektionale Stromflüsse kontrollieren. Das Ergebnis sind um 70 Prozent geringere Leistungsverluste im Vergleich zu einer IGBT-basierten Lösung. Die (RB-)IGCT-Lösung von ABB erreicht einen Wirkungsgrad von 99,9 Prozent bei 1kA und 1kV, verglichen mit 99,5 Prozent für IGBT-basierte Lösungen. Diese drastische Senkung der Leistungsverluste geht einher mit einer entsprechenden Reduktion des CO2-Fußabdrucks. Aufbauend auf dieser optimierten RB-IGCT-Lösung präsentierte ABB im Jahr 2019 auf der Hannover Messe das Konzept für einen solchen halbleiterbasierten Leistungsschalter.

Bild 4 | Der Sace Infinitus integriert Kühlung, Schutz, Induktivität, Leistungselektronik 
und Trennschalter in einem einzigen, einfach zu installierenden Gerät. Die Einschublösung 
ist mit elektrischen und hydraulischen Anschlüssen ausgestattet.
Bild 4 | Der Sace Infinitus integriert Kühlung, Schutz, Induktivität, Leistungselektronik und Trennschalter in einem einzigen, einfach zu installierenden Gerät. Die Einschublösung ist mit elektrischen und hydraulischen Anschlüssen ausgestattet.Bild: ABB Stotz-Kontakt GmbH

All-in-one-Konzept

Neben der Bewältigung der Herausforderungen bei der Entwicklung eines bestmöglichen Halbleiters und Kühlsystems spielt vor allem die vollständige Produktintegration eine wichtige Rolle. Im Jahr 2022 präsentierte ABB nun den Sace Infinitus, die erste All-in-one-Schutzlösung, die alle notwendigen Komponenten – Leistungselektronik, Mechanik, Kühlung, Steuerung, Sensorik und Kommunikation – nahtlos in einer installationsfreundlichen und kompakten Lösung integriert. Die Einfachheit des Designs sorgt dabei für eine Minimierung des Aufwands und somit der Kosten, die beim Einsatz des Produkts im Vergleich zu einer komplexen und potenziell fehleranfälligen sonderangefertigten Lösung mit mehreren Geräten entstehen. Mit dem Sace Infinitus entfallen der zusätzliche Aufwand und der Platzbedarf für einen externen Trennschalter und dessen Ansteuerung, die für den Wartungsfall erforderlich sind. Dies vereinfacht die Installation, erhöht die Sicherheit und senkt die Kosten. Trotz der erheblichen Herausforderungen, die mit der Integration einer solchen breiten Palette von Technologien verbunden sind, ist es ABB gelungen, eine hochwertige halbleiterbasierte Leistungsschalterlösung zu realisieren. Die Nutzung eines einzigen Gehäuses mit optimierten Unterteilungen für die Hauptbaugruppen sorgt nicht nur für eine kompakte Baugröße, sondern ermöglicht auch eine einfache Installation und Wartung des Leistungsschalters. Das von den ausfahrbaren Leistungsschaltern bekannte und bewährte Einschubsystem findet in den zwei Unterteilungen Verwendung. Eine umfasst die Leistungselektronik mit der integrierten Flüssigkeitskühlung und den Schnellverschlusskupplungen und die andere den Schalter für die galvanische Trennung. Darüber hinaus können Kommunikationsmodule aus der ABB Ekip-Reihe eingesteckt werden, um den SSCB auf digitaler Ebene ins System zu integrieren. Die im Leistungsschalter integrierten Spannungs- und Stromsensoren ermöglichen dabei eine kontinuierliche (Fern-)Überwachung der elektrischen Parameter einschließlich der Leistungsmessung.

Bild 5 | Prinzip der ultraschnellen Fehlerstromabschaltung mithilfe der SSCB-Technologie
Bild 5 | Prinzip der ultraschnellen Fehlerstromabschaltung mithilfe der SSCB-TechnologieBild: ABB Stotz-Kontakt GmbH

Vereinfachte Kühlung

Auch wenn der Sace Infinitus erheblich niedrigere Durchlassverluste aufweist als vergleichbare IGBT-Lösungen, sind sie mit etwa 3kW bei einem Stromkreis mit einem Bemessungsstrom von 2.500A nicht unerheblich. Um die Temperatur der Halbleitersperrschicht (wo im Betrieb die höchsten Temperaturen auftreten) im sicheren Arbeitsbereich (Safe Operating Area, SOA) zu halten, ist eine integrierte Flüssigkeitskühlung erforderlich. Bei einem herkömmlichen IGCT-Package dienen die Druckkontakte der Scheibenzelle neben der elektrischen Kontaktierung auch gleichzeitig als thermische Schnittstellen zur beidseitigen Kühlung des Siliziumchips. Dies hat allerdings seinen Preis, denn das Kühlsystem muss isoliert werden. Typischerweise geschieht dies mittels einer isolierenden Kühlflüssigkeit, z. B. entionisiertem Wasser bei MS-Motorantrieben. Doch die Kühlung mit entionisiertem Wasser kann unpraktikabel sein, da sie eine zusätzliche Vorrichtung zur Aufbereitung des Wassers erfordert. Daher hat ABB eine gewichts- und platzsparende innovative Lösung entwickelt, die ohne die Nachteile gängiger Konzepte in puncto Komplexität die richtige Isolierung und Kühlung bietet. Das daraus resultierende Kühlkonzept des Sace Infinitus basiert auf Aluminiumnitrid-Kühlkörpern. Diese kombinieren die gewünschte elektrische Isolierfähigkeit mit einer hohen Wärmeleitfähigkeit, die der von Aluminium sehr nahekommt. Damit kann als Kühlflüssigkeit die bekannte Mischung aus Wasser und Glykol verwendet und auf zusätzliche Ausrüstung verzichtet werden, was neben der Platzersparnis auch die Installation und den Betrieb wesentlich vereinfacht.

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