2027 ist bald: Bereit für die neue EU-Maschinenverordnung?

Die 2023 veröffentlichte neue EU-Maschinenverordnung 2023/1230/EU regelt die Sicherheit von Maschinen. Bis Januar 2027 ist die jetzige EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG noch rechtskräftig, dann, mit dem Stichtag des 20. Januar, die neue Verordnung, kurz MVO. Was ändert sich?

Torsten Gast, Phoenix Contact:

Wesentliche Punkte sind z.B. die Möglichkeit zur Bereitstellung von digitalen Betriebsanleitungen, Vorgaben zum Schutz gegen Korrumpierung oder die eingeführten Delegated Acts. Gefährliche Maschinen werden künftig in Modul A und B eingeteilt. Für Modul-A-Maschinen ist im Zuge des Konformitätsbewertungsprozesses eine Baumusterprüfung durchzuführen. Zusätzlich wurde die Struktur der Verordnung gegenüber der Richtlinie verändert.

Jochen Vetter, Pilz:

Die neue Verordnung erfasst Maschinen sowie zugehörige Produkte und erweitert die Sicherheitsbauteile um Software. Sie schafft mehr Klarheit, wann eine wesentliche Änderung an bestehenden Maschinen und Anlagen vorliegt und somit eine neue CE-Konformitätsbewertung durchgeführt werden muss. Was für Deutschland aufgrund des Interpretationspapiers nicht mehr ganz neu ist, wird mit der Verordnung innerhalb der EU vereinheitlicht und soll von allen gelebt werden. Die neue MVO listet sechs Maschinenkategorien auf unter potentially high risk machinery – u.a. im Bezug zur künstlichen Intelligenz. Für die können Maschinenhersteller nicht mehr wie bisher eine Konformität in Verbindung mit einer harmonisierten C-Norm selbst erklären. In Zukunft muss dafür eine benannte Stelle hinzugezogen werden. Neu nimmt sie das Schutzziel Cybersecurity auf als protection against corruption. Es gibt auch Vereinfachungen: Digitale Betriebsanleitungen sowie digitale EU-Konformitätserklärungen sind unter bestimmten Rahmenbedingungen möglich. Die Papierform muss nur noch auf Verlangen des Kunden mitgeliefert werden.

Dirk Heeren, Sick:

Zu der Fülle von Veränderungen zählt z.B. die Definition von Maschinen. Demnach ist das Fehlen der Software kein Kriterium mehr für eine unvollständige Maschine. Grundlegende Änderungen sind zudem Anforderungen hinsichtlich künstlicher Intelligenz, Cybersecurity sowie zusätzliche Anforderungen für autonome Maschinen oder kollaborative Anwendungen. Im Zuge des Inkrafttretens der MVO muss auch die Harmonisierung der zugehörigen Normen neu erfolgen um eine Vermutungswirkung zur Konformität begründen zu können. Hinzu kommen Anforderungen für den Schutz gegen Korrumpierung der Sicherheitsfunktionen, die im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahren entsprechende Safety- und Security-Risikoanalysen notwendig machen. Durch die neu eingeführte Definition der ‚wesentlichen Veränderung‘ ist nun klar, wann Betreiber bei Modifikationen an bereits bestehenden Maschinen wie Hersteller betrachtet werden.

Patrick Richters, SSP:

Eine der auffälligsten Neuerungen ist die neue Gliederung, insbesondere die geänderte Reihenfolge der Artikel und Anhänge. Besonders gefährliche Maschinen, die bisher unter Anhang IV einer notifizierten Stelle unterlagen, fallen nun unter Anhang I. Die Grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, kurz GSA wurden von Anhang I nach Anhang III verschoben. Die Verordnung spricht in Artikel 2 (Anwendungsbereich) von Maschinen und dazugehörigen Produkten. Das umfasst etwa auswechselbare Einrichtungen, Sicherheitsbauteile, Lastaufnahmemittel, Ketten, Seile, Gurte sowie abnehmbare Gelenkwellen. Dies ist wichtig, um die Sicherheit im gesamten Maschinenkontext zu gewährleisten. Ein bedeutender neuer Aspekt ist die Cybersicherheit, die nun zur Herstellerpflicht wird. Ein neuer Punkt 1.1.9 im Anhang III der GSA fordert explizit Schutzmaßnahmen gegen Korrumpierung, sowohl unbeabsichtigt als auch absichtlich. So muss beispielsweise sichergestellt werden, dass die Verbindung eines fremden USB-Sticks keine gefährlichen Situationen verursachen kann.

Michael Flesch, Turck:

Alle Geräte, die in sichere Maschinensteuerungen eingebunden werden können, sind davon betroffen. Das heißt für die Hersteller, bis zum Stichtag müssen die Mindestvorgaben aus der Maschinenverordnung für diese Produkte umgesetzt werden. Das geht bei einem Feldbusteilnehmer vom Netzwerk-Port über den Webserver bis hin zur Möglichkeit der Vorortkonfiguration. Derzeit arbeiten wir an Konzepten und Strukturen, die es unseren Kunden ermöglichen, ihre Module möglichst einfach upzudaten und damit zukunftssicher aufzustellen.

Marcus Scholle, Wieland Electric:

Eine wichtige Änderung ist, dass die MVO nicht in nationales Recht umgesetzt werden muss, wie es bei der Maschinenrichtlinie der Fall war. Konkret ergeben sich nun etwa Änderungen bei der Dokumentation. Diese kann künftig rechtssicher in digitaler Form bereitgestellt werden. Allerdings sind bei näherer Betrachtung die Anforderungen hierfür nicht zu unterschätzen. Die Umsortierung der Anhänge wirft einige Fragen zur Notwendigkeit dieser Anpassung auf. Für die tägliche Arbeit mit der Maschinenverordnung, zentral ist Anhang I, der grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen beschreibt. Die wohl grundlegendste neue Anforderung hier ist die Betrachtung der Cybersicherheit.

Inwieweit haben sich Ihrer Erfahrung nach die Maschinenhersteller und Anwender schon mit der neuen MVO beschäftigt? Wer ist beim Handlungsbedarf betroffen und wie unterstützen Sie dabei?

Hasan Sülük, Pepperl+Fuchs:

Maschinenbauer und Anwender setzen sich intensiv mit den neuen Vorgaben auseinander. Der Handlungsbedarf umfasst Anpassungen bei Risikobewertungen, Dokumentationen und Sicherheitsprüfungen. Alle Hersteller und Betreiber von Maschinen sind betroffen. Wir unterstützen durch Dienstleistungen, Schulungen und Beratungen für die erforderlichen Dokumentationen.

Das Team des Competence Center Services von Phoenix Contact hat festgestellt, dass nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfs ein großes Interesse bei den Herstellern bestand, sich über mögliche Änderungen frühzeitig zu informieren. So waren und sind die Anfragen nach unserem Whitepaper zur EU-Maschinenverordnung sehr hoch. Von daher setzen sich die Hersteller definitiv mit der Thematik auseinander. In der Tat ist das auch absolut berechtigt. Es scheinen im ersten Moment lediglich ein paar Veränderungen zu sein, teilweise haben diese aber größere Auswirkungen. Eine Umstellung z.B. auf eine digitale Betriebsanleitung bedeutet nicht nur, aus der bisherigen Papierversion eine PDF-Datei zu erzeugen. Von daher sind alle gut beraten, sich nicht erst am Stichtag mit den Änderungen zu beschäftigen. Wir bieten eine breite Unterstützung für die speziellen Anforderungen an: vom Whitepaper über kostenfreie Online-Einsteiger-Veranstaltungen und Ganztagsseminare für Experten bis zur Erstellung der Nachweisdokumentation für die neue Verordnung. Wir können für jede Anforderung ein individuelles Dienstleistungspaket schnüren.

Wir beobachten, dass das Thema MVO zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dies wird deutlich an den Fragen, die Kunden an uns richten, sowie am Zulauf zu unseren Veranstaltungen. Auch in Kundengesprächen wird die MVO immer häufiger thematisiert. Alle Hersteller von Maschinen und Anlagen müssen sich darauf einstellen. Es gilt die Stichtagregelung, das heißt, es gibt keine Übergangsfristen. Das bedeutet, dass die Verordnung ab dem 20. Januar 2027 in allen EU-Mitgliedstaaten zwingend angewendet werden muss. Wir unterstützen unsere Kunden umfassend. So bieten wir Schulungen, Seminare und Vorträge zum Thema an. Alle Dienstleistungen von Pilz sind auf die neue MVO und ihre Anforderungen abgestimmt.

Wir stellen fest, dass aktuell noch große Unsicherheit herrscht. Dies zeigt sich zum einen in der häufig gestellten Frage, was mit Produkten passiert, die jetzt noch nicht der MVO entsprechen. Den wesentlichen Handlungsbedarf sehen wir darin, sich schon heute mit der MVO und damit den wesentlichen inhaltlichen Änderungen zu beschäftigen. Der Stichtag kommt schneller als man denkt. Zudem betrifft die MVO, im Gegensatz zur aktuell gültigen Maschinenrichtlinie, eine deutlich größere Zielgruppe. Zur ihr zählen nicht mehr nur Unternehmen und Wirtschaftsakteure, die in der MVO genannte Maschinen im EU-Markt bereitstellen, in Verkehr bringen sowie in Betrieb nehmen. Dazu gehören jetzt explizit auch Händler, Online-Händler, Importeure von außerhalb der EU und Bevollmächtigte. Wir unterstützen z.B. durch vielfältige Beratungsdienstleistungen und Schulungsangebote, sowohl allgemein zur Vermittlung der relevanten Änderungen als auch projektbezogen und individuell.

Grundsätzlich können alle Wirtschaftsakteure von der Neuordnung betroffen sein und müssen sich frühzeitig informieren. Nur wer nach Inkrafttreten der neuen Verordnung die entsprechenden Anforderungen erfüllt, darf seine Maschinen weiter in der EU bereitstellen, verkaufen oder importieren. Die CE-Kennzeichnung dient dabei als ‚Reisepass‘ für Maschinen und ist Pflicht. Wichtig ist, dass langfristig angelegte Projekte rechtzeitig mit der MVO als konform erklärt werden. Zum Beispiel sollte eine Maschine, die Anfang 2026 gebaut, aber erst Mitte 2027 in Verkehr gebracht wird, direkt nach den Vorgaben der neuen Verordnung entwickelt werden. Sie ist abwärtskompatibel und Anforderungen wie Security sind schon jetzt umsetzbar. Auch das Thema erweiterte Informationen auf dem Typenschild wie die Angabe der Homepage und Email-Adresse des Herstellers, lassen sich bereits berücksichtigen.

Ich habe den Eindruck, es ist ein bisschen wie bei der Einführung der Maschinenrichtlinie im Jahr 2006. Viele haben damals einfach weitergemacht und sich nicht rechtzeitig Gedanken zu den Anforderungen gemacht, frei nach dem Motto: Et kütt wie et kütt, et es wie et es, et hett immer noch jodjejange. So dürfen wir heute nicht mehr handeln, und da sind alle gefordert, vom Hersteller über die OEMs bis zu den Endkunden. Wir führen daher intensive Gespräche mit unseren Kunden, um hier eine Lösung zu finden, die möglichst viele Anforderungen erfüllt. Wer wird wie informiert, wo liegen die Daten zur Pflege, wer darf was machen – all dies sind Fragen, die ein Hersteller allein nicht beantworten kann, hier müssen alle Beteiligten zusammenarbeiten.

Meiner persönlichen Erfahrung nach ist das Niveau, mit dem Unternehmen auf die Anwendung der Maschinenverordnung vorbereitet sind, breit gefächert. Probleme bestehen vor allem, wenn selbst bei der bestehenden Gesetzeslage Unsicherheiten zu bemerken sind. Grundsätzlich ist zunächst einmal jeder von der Maschinenverordnung betroffen, auf den auch die Maschinenrichtlinie zutrifft. Allerdings können etwa auch reine Programmierdienstleister mehr in die Verantwortung kommen, wenn die erstellte Software als Sicherheitsbauteil gesehen wird. Allgemein ist davon auszugehen, dass in jedem Fall Bedarf zur Überprüfung der spezifischen Situation vorhanden ist. Prinzipiell können wir als Wieland Electric bei der Untersuchung dieser Problemstellen an verschiedenen Stellen unterstützen. Konkret ist hier etwa ein Workshop beim Kunden vor Ort denkbar, bei dem auch direkt auf spezifische Themen eingegangen werden kann.

Die Flexibilität, die in smarten Fabriken heute gefordert wird, müssen auch die entsprechenden Safety-Lösungen aufweisen. Doch in der Praxis gestaltet sich das bislang meist kompliziert. Wie setzen Sie ein zuverlässiges Application-Engineering um?

Hasan Sülük, Pepperl+Fuchs:

In der digitalen Produktion erfordert Safety-Engineering flexible Lösungen. Wir setzen auf modulare Safety-Designs und integrierte Softwarelösungen, die Anpassungen und Zuverlässigkeit ermöglichen. Kontinuierliche Schulungen und Support halten unsere Kunden auf dem neuesten Stand. Änderungen an Bestandsmaschinen erfordern umfassende Risikobewertungen und Sicherheitsanalysen. Wir unterstützen mit detaillierten Analysen und Beratungen, um die Sicherheitsstandards einzuhalten.

Der Kern eines einfachen Safety-Engineerings liegt in einem eindeutigen und kompletten Anforderungsmanagement basierend auf einer vollständigen und richtigen Risikobeurteilung. Die Komplexität entsteht, wenn Anforderungen erst im Laufe des Projekts spezifiziert werden und dann gegebenenfalls das Engineering neu aufzusetzen ist. Aufgrund unserer langjährigen Erfahrungen im Safety-Engineering können wir Projekte schon beim Anforderungsmanagement begleiten und dafür sorgen, dass die Spezifikation keine Zweideutigkeit aufweist.

Wir verfügen über viel Wissen und Erfahrung in der Maschinensicherheit. Unsere Experten sowie TÜV-auditierte Engineering-Prozesse gewährleisten eine zuverlässige Umsetzung. Sie lassen sich flexibel auf die Gegebenheiten unserer Kunden anpassen. Darüber hinaus kennen wir die Anforderungen in nahezu allen Industriezweigen und Branchen. Schließlich ist auch die gute übergreifende Zusammenarbeit, beispielsweise mit Forschung und Entwicklung, eine wichtige Grundlage dafür, dass wir immer wieder innovative Lösungen entwickeln können.

Industrielle Sicherheitslösungen sind ein wesentlicher Bestandteil von Sick. Wir wissen, dass gutes Safety-Engineering die Basis für erfolgreichen Maschinen- und Anlagenbau der Zukunft ist. Ohne fundiertes Fachwissen, sowohl in Automatisierungs- als auch Sicherheitstechnik, wird das eine Herausforderung. Unsere Dienstleistungen unterstützen Anwender mit ganzheitlichen Lösungsansätzen, um Applikationen effizient und sicher zu realisieren. In enger partnerschaftlicher Zusammenarbeit entwickelt Sick unter dem Motto We Create Safe Productivity neue Lösungen, wobei die Verbesserung bestehender Anwendungen im Hinblick auf Produktivität und Sicherheit zentral im Fokus steht.

Unser Motto lautet: We Simplify Safety. Dementsprechend unterstützen wir unsere Kunden mit maßgeschneiderten Lösungen, die gleichzeitig neue Möglichkeiten aufzeigen. Unser Spektrum erstreckt sich von der Safety-Beratung und -Begleitung bis hin zur CE-Kennzeichnung. Wir bieten smarte Lösungen, die eine umfassende Diagnose in der Sensorik ermöglichen. Dadurch reduzieren wir Verkabelungsaufwand und Inbetriebnahmezeit. Unser Safety-Simplifier-Programm für Sicherheitssteuerungen im Feld empfängt kabellose sichere Signale und verarbeitet sie direkt. Auf diese Weise vereinfachen wir die Sicherheitsprozesse.

Die neue MVO verlangt allen Personen, die sich damit beschäftigen, eine gewisse Offenheit ab, sich auf die neuen Gegebenheiten der Verordnung einzulassen und zu lernen. Da ist ein effizienter Knowhow-Transfer erforderlich. So sollten die Vertriebskollegen daher auch in der Materie ein gewisses Grundwissen mitbringen. Wenn es dann weiter ins Detail geht, unterstützen unsere Applikationsspezialisten mit ihrem spezifischen Knowhow. Des Weiteren arbeiten wir mit Partnern zusammen, die wir an unsere Kunden vermitteln, wenn es um größere Projekte geht.

Grundsätzlich ist beim Thema des Applikations-Designs – gerade in der Maschinensicherheit – meiner persönlichen Erfahrung nach der Prozessgedanke eine große Problemstelle. Selbst Gesetzestexte legen Wert darauf, dass Sicherheit bereits früh im Design eine zentrale Rolle spielen muss. Zudem müssen Verantwortlichkeiten definiert werden. Das gilt sowohl prozessseitig übergreifend als auch projektspezifisch. Im Zweifel muss für eine rechtssichere Ausführung der Maschinen die Sicherheit Vorrang vor einer möglichst preiswerten Lösung haben. Auch für die einzelnen Designschritte wie Risikobeurteilung, Erstellung von sicherheitsgerichteter Anwendersoftware oder Validierung gibt es empfohlene und teils verbindliche Verfahrensweisen. Von diesen kann im Zweifelsfall begründet abgewichen werden. Es können sich hierdurch aber Probleme ergeben, die im Folgenden dann kostspielig behoben werden müssen.

Security-Aspekt und Lösungen für die Praxis nach.

Torsten Gast

Director Competence Center Services im Industry Management

Phoenix Contact, Blomberg

Hasan Sülük

Head of Safety Services

Pepperl+Fuchs

Jochen Vetter

Manager Consulting Services

Pilz

Dirk Heeren

Safety Competence Specialist &

Certified Functional Safety Application Expert

Sick

Michael Flesch

Produktmanager Safety-Systeme

Turck

Patrick Richters

Leiter Dienstleistung Maschinensicherheit

SSP Safety System Products

Marcus Scholle

Safety Application Consultant

Wieland Electric

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