Mit neuen Simulationsmethoden komplexe Prozesse abbilden

Bild: ©Piotr Banczerowski

Simulationen und Digitale Zwillinge sind für viele Unternehmen unverzichtbar. Forschende am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM haben mit dem Tool Meshfree eine Lösung entwickelt, die ohne starres Rechengitter arbeitet und in der Lage ist, komplexe Abläufe mit großer Zeitersparnis und damit kostengünstig zu simulieren. Dafür werden sie mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2024 ausgezeichnet.

„Unsere allererste Aufgabe im Projektteam bestand darin, die Entfaltung eines Airbags während des Fahrzeug-Crashs zu simulieren“, berichtet Dr. Jörg Kuhnert, bereits damals Teil der Gruppe. „Bis auf real durchgeführte, kostenintensive Crashtests gab es damals keine Möglichkeit, die Sicherheit von Neuentwicklungen in diesem Bereich schnell zu überprüfen.“ Denn: Je mehr Objekte sich in einer Situation bewegen und miteinander interagieren, desto schwieriger ist es, sie unter vertretbarem Aufwand mit klassischen Simulationsmethoden zuverlässig abzubilden.

Basierend auf der Dissertation von Jörg Kuhnert entwickelte das Team – seit 2012 auch unter Mitarbeit von Dr. Isabel Michel im Schwerpunkt Freistrahlturbinen – daher den gitterfreien Ansatz. Dieser ermöglicht es teilweise erstmals, besonders komplexe und dynamische Situationen in der Simulation zu zeigen. Sämtliche seither erzielten Forschungsergebnisse flossen in das Software-Tool Meshfree ein. Das Resultat ist ein Simulations-Tool mit einem echten Alleinstellungsmerkmal: Weltweit macht kein anderes Simulationswerkzeug die generalisierte Finite-Differenzen-Methode (GFDM) industriell nutzbar.

Flexible Methode für dynamische Prozesse

Klassischerweise kommt bei Simulationen die Finite-Elemente-Methode zum Einsatz: Ingenieurinnen und Ingenieure konstruieren dafür ein Gitternetz passend für die jeweilige Geometrie und berechnen darauf aufbauend die Veränderungen in jedem einzelnen Element. Bereits das Aufsetzen der Gitterstruktur ist sehr zeitaufwändig; auch während der Simulation muss sie immer wieder angepasst werden. Die Software kombiniert dagegen die Generalisierte Finite-Differenzen-Methode zur Lösung der Erhaltungsgleichungen für Masse, Impuls und Energie mit effizienten Algorithmen zur Lösung linearer Gleichungssysteme, die vom Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI mitentwickelt wurden. Die verwendete numerische Punktewolke ist dazu in der Lage, sich flexibel an bewegliche Geometrien anzupassen. Aufwändige Nachkorrekturen im Rechengitter entfallen. Für ihre Entwicklung, die reale Versuche ersetzen kann, erhalten Dr. Jörg Kuhnert und Dr. Isabel Michel den Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2024.

Von Automotive bis Verfahrenstechnik

Die ausgezeichnete Methodik lässt sich für eine große Bandbreite von Anwendungen einsetzen. Ein Schwerpunkt liegt aktuell im Automotive-Bereich: Neben der Airbag-Simulation konnten die Forschenden ihre Industriepartner bislang u.a. mit Modellierungen von Wasserdurchfahrten oder des Verhaltens von Fahrzeugen auf Sand oder Kies unterstützen. In der Verfahrenstechnik half Meshfree Unternehmen dabei, die Prozessparameter bei der Verarbeitung von Glasschmelze sowie der Herstellung von Kunststoffteilen zu verbessern.

Grundsätzlich lässt sich die Methode überall dort nutzen, wo Messungen oder Versuche ersetzt werden sollen oder nur schlecht bis gar nicht funktionieren. Isabel Michel fasst zusammen: „Wir sind nicht fixiert auf die klassischen Anwendungsfälle der numerischen Strömungsmechanik. Die Software kann viel mehr: Das Tool ist bewusst generisch gehalten.“ Die Software besitzt also großes Potenzial, in Zukunft noch in vielen weiteren Anwendungsfeldern Kosten, Zeit und Material zu sparen.

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