„Edge und IIoT sind marktreif“

"Wir haben inzwischen über die gemachten Evolutionsschritte, einen Punkt erreicht, an dem wir jedes Digitalisierungsprojekt umsetzen können." Andreas Graf Gatterburg, Principal Technology Consultant bei Hilscher
"Wir haben inzwischen über die gemachten Evolutionsschritte, einen Punkt erreicht, an dem wir jedes Digitalisierungsprojekt umsetzen können." Andreas Graf Gatterburg, Principal Technology Consultant bei Hilscher

Wie ist die Idee zu netField entstanden, nachdem Hilscher ursprünglich mit dem Markennamen netIoT an den Markt gegangen ist, was hat sich gewandelt?

Andreas Graf Gatterburg: Hilscher hat sich in seiner über 35-jährigen Historie erfolgreich als Ausrüster in der industriellen Kommunikationstechnik positioniert. Das heißt, wo immer Echtzeit-Kommunikation gebraucht wird, haben wir Lösungen, zum Beispiel schon lange über unseren eigenen netX Chip und die Produkte, die wir rundherum aufbauen. Als das Thema IoT vor rund acht Jahren aufkam, hat unser Firmengründer Hans-Jürgen Hilscher sehr schnell dessen Potenzial erkannt. Nämlich, dass wir die Kommunikation des eigentlichen Automatisierungsprozesses ausbauen und fortsetzen können in die IT-Systeme bis in die Cloud. Es entstand netIoT, die erste Generation unserer IoT-Lösung, aus seiner Sicht eine natürliche Weiterentwicklung des Hilscher-Portfolios. Diese Motivation setzt sich nun mit der Entwicklung der – deutlich flexibleren – zweiten Generation netField fort. Aus diesem Baukasten können wir nun alles anbieten, was für die industrielle Kommunikation benötigt wird.

Was umfasst dieser Baukasten?

Für unser Kerngeschäft haben wir von Chips, über Protokoll-Stacks, Module, PC-Karten bis hin zu Feldbus-Gateways bereits einen großen Lösungsbaukasten parat. Dieser wird jetzt quasi nach oben hin in die IT ausgebaut: mit Edge-Gateways, eigenen Softwareapplikationen und sogar einer eigenen Cloud-Lösung für das Gerätemanagement. Damit bedienen wir weiterhin den Kommunikationsbedarf unserer Kunden. Das ist das, was wir als Unternehmen tun.

Was sind die wichtigsten Herausforderungen, um solche Plattformen zu entwickeln?

Ich glaube, die wichtigste Herausforderung ist immer zu verstehen, was der Kunde tatsächlich braucht. Unsere aktuelle Cloud-Lösung z.B. haben wir entworfen, weil wir ein Skalierungs-Problem erkannt haben. Zusammen mit Pilotkunden haben wir sie dann anhand der konkreten Anforderungen ihrer Projekte gemeinsam ausgearbeitet. Auf diese Weise entwickeln wir unsere Produkte und Lösungen stetig weiter.

Welche Einstiegshürden stellen Sie bei den Unternehmen fest, die digitalisieren wollen?

Wir erleben immer wieder, dass Mitarbeiter, die Digitalisierungsprojekte angehen sollen, auf uns zukommen und sagen: Mein Chef hat gesagt wir müssen digitalisieren, was tun wir jetzt? Mit solch einem Ausgangspunkt lässt sich ein erfolgreiches Projekt allerdings nur sehr schwer durchführen. Hier ist der erste Schritt immer zunächst zu erklären: Digitalisierung ist ein Mittel, kein Zweck. Wir machen Digitalisierung nicht, damit wir uns am Ende auf die Fahnen schreiben können: Wir haben digitalisiert. Vielmehr braucht es immer eine Herausforderung, die es zu lösen gilt. Es ist im Grunde wie die Automatisierung selber, die ähnlich entstanden ist, nämlich über das Potenzial der Wertschöpfung – Gewinne erzielen zu können. So ist es auch mit der Digitalisierung, man muss zuerst das Potenzial erkennen, etwa welche Verbesserungen sich erreichen lassen, wo Informationen verarbeitet werden müssen, um effizienter produzieren zu können. Also, der erste Schritt ist, ein Ziel für die Digitalisierung zu definieren.

Welche Schritte empfehlen Sie, kleine oder gleich größere Projekte?

Es hilft natürlich, zunächst kleine Projekte umzusetzen, um sich schrittweise an das Thema heranzutasten und auch eine eigene Expertise aufzubauen. Das Problem dabei: Wir müssen es schaffen, dass die Projekte, die wir kleinschrittig angehen, am Ende auch wirklich als Erfolg für das gesamte Unternehmen gesehen werden. Die gute Nachricht: Wir haben inzwischen über die gemachten Evolutionsschritte einen Punkt erreicht, an dem wir jedes Digitalisierungsprojekt umsetzen können. Die Frage ist nur, wie viel Aufwand, also wie viel Engineering muss selbst noch hineingesteckt werden. Aktuell bleibt die Herausforderung, erfolgreiche Digitalisierungsprojekte zu skalieren, um sie in der Breite einzusetzen.

Scheitern auch Digitalisierungsprojekte und warum?

Ja, auf jeden Fall. Wir haben eine relativ schmerzhafte Lernkurve durchlaufen und im Zuge dessen das netField-Portfolio aufgebaut. Daraus ist auch unsere Cloud-Lösung entstanden. Wir sind alle stolz darauf, dennoch jeden Use-Case umgesetzt zu haben. Das größere Problem lag im nächsten Schritt. Wie sollte ein durchgeführtes Projekt, etwa in jeder Produktionsstraße, ausgerollt werden – vor allem zu welchen Kosten? Sie waren häufig zu hoch. Genau das haben wir dann während unserer Weiterentwicklung adressiert, was auch zu unserer Leitlinie wurde: die Skalierbarkeit der Lösungen. Denn der Anwender muss seine Projekte aufwandsarm und mit realistischen Kosten umsetzen können.

Was steckt also hinter Ihrem netField-Portfolio?

NetField ist zunächst ein Baukasten, woraus sich Kunden für ihren Kommunikationsbedarf bedienen können, der Digitalisierungsprojekte unterstützt. Dabei fokussieren wir uns auf die Datenakquise und die Datenweiterleitung. Die eigentliche Verarbeitung erfolgt dann über zuladbare Software aus einem containerisierten Portfolio. Wir stellen sicher, dass die Echtzeitdaten aus den Kommunikationsnetzen des Shopfloors für IT-Anwendungen bereitgestellt werden. Hierbei können wir auf Steuerungs- und Feldbusdaten zugreifen, aber auch auf bereits in IoT-Formaten vorliegende Daten, wie OPC UA und MQTT. Gleichzeitig können wir Software, die aus anderen Quellen kommt, dynamisch auf Edge-Plattformen ausrollen. Wir stellen also die gesamte Infrastruktur für die Kommunikation bereit.

Was ist das Einzigartige an Ihrer IoT-Plattform?

Die herausragenden Fähigkeiten der netField-Cloudlösungen liegen im Management des Digitalisierungs-Portfolios. Zudem ist unser Funktionsumfang, inklusive Lokalisierungs- und Zugriffsfunktionen auf die Maschinen, einzigartig. Die Bedürfnisse eines Maschinenbauers, der eine global verteile installierte Basis managen will, bilden wir beispielsweise perfekt ab. Natürlich stehen wir auch mit den anderen Anbietern in diesem Bereich im Austausch und arbeiten daran, einen Vendor Lock-in zu verhindern. Zudem diskutieren wir auch das Thema Software-Distribution, um Lösungen von anderen Anbietern herstellerübergreifend über gemeinsame Schnittstellen bereitstellen zu können.

Das heißt, Sie arbeiten an der Interoperabilität in den entsprechenden Gremien?

Genau. Etwa an einem Industrial-App-Store unter dem Dach der Open Industry 4.0 Alliance. Die Idee ist, dass Anwender dynamisch Software über einen gemeinsamen Standard von verschiedenen Anbietern nachladen können. Auf der Hannover Messe haben wir dieses Jahr bereits einen Demonstrator gezeigt, der im Labs Network Industrie 4.0 entstanden ist, ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Open Industry 4.0 Alliance. Ziel ist, dass mittelfristig beispielsweise ein Hilscher-Edge-Gateway über eine Siemens-Plattform gemanagt werden kann. Wir wollen, dass die Verwaltung einer Edge-Lösung von einem Hersteller mit einer Managementlösung eines anderen Herstellers möglich ist. Aktuell arbeiten wir noch an gemeinsamen Schnittstellen und hoffen, dass wir nächstes Jahr zur Hannover Messe tatsächlich eine interoperable Lösung vorstellen können. In der Open Industry 4.0 Alliance leiten wir auch die Arbeitsgruppe Open Edge Computing, wo es darum geht, dass die Softwareapplikationen auf Edge-Gateways auf eine standardisierte Weise miteinander kommunizieren, sodass verschiedene Softwareapplikationen auch Daten austauschen können.

Das klingt nach einer großen Herausforderung …

Ja, das stimmt. Aus unserer Sicht ist das auch gerade noch das große Markthindernis, weil die herstellerübergreifend fehlende Durchgängigkeit Investitionen hemmt. Wir wollen, dass das Gerätemanagement im Feld herstellerübergreifend möglich, also interoperabel ist und haben Stand heute zehn Hersteller gewonnen, die sich offiziell dazu bekannt haben. Von Seiten Hilscher arbeiten wir daran federführend aktiv mit. Ansonsten sind aus unserer Sicht Edge und IoT jetzt so marktreif, dass sie in der Breite des Marktes ankommen können. Nun ist es Sache des einzelnen Anwenders, wann er auf den Zug aufspringen will.

Apropos Anwender, wen adressieren Sie mit Ihren Lösungen?

Wir haben vor allem ein sehr gutes Verständnis für die Bedarfe im Maschinenbau, aber naturgemäß haben wir auch gute Kontakte zu Komponentenherstellern, die für ihre einzelnen Komponenten Lösungen im Feld brauchen mit denen sie zusätzliche Softwaredienste anbieten können. Hier sehen wir aktuell einen großen Bedarf in der Antriebstechnik, wo es einen starken Differenzierungsdruck gibt. Wir sind in intensiven Diskussionen mit Antriebsanbietern, die sagen: Wir wollen unsere Antriebe im Feld weiter betreuen können und dafür brauchen wir ein Zusatzangebot, das diese Anbindung bis in unser Hauptquartier sicherstellt.

Wie befähigen Sie die Anwender, mit Schulungen?

Wir bieten zweitägige Schulungen an, für die einer unserer Experten zum Kunden fährt und die Möglichkeiten bespricht. Was wir dort am Beispiel des Hilscher-Portfolios vermitteln, hilft auch generell beim Verständnis, was aktuelle Lösungen leisten können und worauf man bei der Entscheidung für eine bestimmte Architektur achten muss. Dabei gibt es zwei Lernkurven: Zum einen das Verständnis, was es für Lösungen gibt und wofür sie unter welchen Randbedingungen einsetzbar sind. Zum anderen das praktische Doing. Unser Anspruch ist es, innerhalb eines Tages einen ersten Piloten, einen Proof of Concept, aufzusetzen, indem Datenquellen genutzt und entsprechend weiterverarbeitet werden.

Gibt es eine beispielhafte Erfolgsgeschichte?

Ja, wir arbeiten seit ein paar Jahren mit einem Maschinenbauer aus dem Allgäu zusammen, der Verpackungsmaschinen für Lebensmittel herstellt. Multivac ist zudem ein wichtiger Pilotkunde, der seine Anwendungen selbst entwickelt und mit uns diskutiert, wie die Infrastrukturmechanismen aussehen müssen, um sie optimal einzusetzen. Mit seinen selbst programmierten ‚Smart Services‘, für die unsere Produkte eingesetzt werden, bietet das Unternehmen Lösungen für die Überwachung, Steuerung und Optimierung weltweiter Maschinenparks. Das ist bereits eine echte Erfolgsgeschichte.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Eines der aktuellen Themen in der Entwicklung ist ebenfalls ein Schnittstellenthema, nämlich die Schnittstelle zu anderen IT-Anwendungen. Wir wollen sicherstellen, dass die Informationen, die bei uns vorliegen, auch für andere Zwecke genutzt werden können. Zum Beispiel ein Asset-Management-System, das anzeigt, welche Geräte gerade aktiv sind oder ob Geräte fehlen. Mit Demonstratoren haben wir das früher schon gezeigt, aber jetzt kommt das Interesse auf, diese Integration zwischen den verschiedenen Datenplattformen auch draußen im Feld hinzubekommen.

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