Stellen Sie die richtigen Fragen?

Die OEE soll verbessert werden, die Overall Equipment Efficiency. Das zumindest hört man häufig, wenn man sich die Ziele industrieller Digitalisierung ansieht. Cloud- und Edge-Computing, Ethernet-Connectivity bis an den Sensor, intelligente Antriebe und ein Maschinen-Dashboard am Smartphone – all das soll die industrielle Produktion auf ein neues Level heben. Aber ist die OEE der richtige Wert, um zu erkennen, ob das klappt? Gesellschaftlich gesehen hat die Digitalisierung auf jeden Fall bislang noch keinen Schub gebracht: Die mittlere jährliche Produktivitätssteigerung im deutschen verarbeitenden Gewerbe lag zwischen 2015 und 2019 bei 1,8% und damit im Bereich der Inflationsrate.

Tatsächlich entwickelt sich die Arbeitsproduktivität in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten nicht übermäßig gut: Konnte sie in den 1970ern binnen zehn Jahren um etwa 50 Prozent gesteigert werden, und auch in den 1980ern und 90ern jeweils noch um rund 30 Prozent zulegen (Früchte der dritten industriellen Revolution mit Automatisierung und Robotik), so lag das Wachstum der Produktivität in den 2010ern nur noch bei rund 5% – zumindest bis zur Rezession 2017. Ein seither einsetzender Produktivitätsrückgang hat den Effekt wieder aufgefressen, sodass die Produktivität 2021 wieder auf dem Niveau von 2011 lag. Also dem Jahr, in dem öffentlichkeitswirksam und ein wenig großspurig die vierte Industrielle Revolution ausgerufen wurde, die Internet-getriebene Industrie 4.0. Und seither: Kein Effizienzgewinn.

Machen die Automatisierer etwas falsch?

Obwohl doch genau dieser Effizienzgewinn bisher das Kennzeichen jeder industriellen Revolution war, ob durch die Dampfmaschine vor 250 Jahren, die Fließbandfertigung vor 100 Jahren oder die Elektronik vor 50 Jahren. Und jetzt, zehn Jahre nach der Ausrufung (oder besser dem Beschwören) der vierten Revolution soll das alles ohne Effizienzgewinn ablaufen? Machen die Automatisierer mit ihrem industriellen Internet der Dinge und den smarten Fabriken etwas falsch? Und warum sinkt die gesamte Arbeitsproduktivität, wenn doch die OEE, die Effizienz der Maschinen, angeblich steigt?

Ich habe manchmal den Eindruck, dass ein Teil der gesteigerten Effizienz von IIoT-Anlagen durch die Notwendigkeit von IT- und Softwarespezialisten kompensiert wird. Sprich, für jeden Werker, der an der Maschine eingespart werden kann, muss an anderer Stelle ein Netzwerkfachmann eingestellt werden, für jeden Vorarbeiter ein Cloud-Programmierer. Der Output pro Maschine mag steigen, der Output pro Mitarbeiter im Unternehmen tut das aber möglicherweise nicht.

Ein Widerspruch, der auch dem Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Solow auffiel, als er zur digitalen Revolution sagte: „Man sieht das Computerzeitalter überall, nur nicht in den Produktivitätsstatistiken.“ Auch in der Forschung sorgt die Diskrepanz für Aufmerksamkeit. Das Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken (ILIN) der Hochschule Karlsruhe erforscht zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in der Studie „Wertschöpfungspotenziale 4.0“, warum in den Unternehmen seit Jahrzehnten die IT-Investitionen deutlich stärker steigen als die Produktivität. Ein Ergebnis: Unternehmen setzten zu einseitig auf IT-Lösungen, obwohl Produktivitätsfortschritte in der Regel eine Prozessverbesserung voraussetzen. Kurz gesagt: Die Digitalisierung ineffizienter Prozesse führt zu ineffizienten digitalen Prozessen.

Ist die Digitalisierung der falsche Ansatz oder sind wir einfach noch nicht so weit?

Entsprechend hängen Erfolge immer noch an der Zahl der arbeitenden Menschen: Viele Hände, schnelles Ende. Wenn es also darum geht, mehr Output zu liefern, wird dies auch heute meist mit mehr Personal gemacht. Nicht umsonst hören wir die steten Klagen über den Fachkräftemangel. Und nicht umsonst wurde jahrelang Produktionskapazität in jene Länder ausgelagert, in denen die vielen Hände nicht so viel kosten – eine Strategie, die vielen Unternehmen in Zeiten von reißenden Lieferketten und kriegsbedingten Im- und Exportbeschränkungen nun auf die Füße fällt. Reshoring heißt denn auch das Zauberwort, und digitale, vernetzte Automatisierung ist das Mittel, mit dem trotz Hochlohnumfeld eine konkurrenzfähige Fertigung möglich sein soll, die sozusagen als Nebeneffekt den demographischen Personalschwund auch noch kompensieren soll. Verlangen wir da zu viel?

Oder sind wir einfach nicht geduldig genug? Denn auf der anderen Seite muss man feststellen, dass Innovationen einfach Zeit brauchen, um ihre Wirkung zu entfalten: Mit der Erfindung der Glühbirne war die Welt noch nicht hell. Es dauerte Jahrzehnte, bis in jedes Zimmer zwei Drähte verlegt waren. Und natürlich war die Welt mit der Erfindung des ersten Kraftwagens noch nicht mobil. Erst nach vielen Jahrzehnten, als in jedes Dorf eine geeignete Straße gebaut war, konnte die Innovation zeigen, was sie bewirkt. Und ja, auch die Dampfmaschine hat Jahrzehnte gebraucht, bis sie die Arbeitsweise der Menschen in der Breite verändert hat.

Vielleicht sind also zehn Jahre Industrie 4.0, ja sogar 30 Jahre World Wide Web viel zu kurz, um schon zu sehen, wie sich das Ganze auswirkt. Vielleicht stellen die Vordenker der Automatisierungstechnik aber auch einfach die falschen Fragen. Nicht nur das Equipment muss effizient sein, sein Zusammenspiel mit den Menschen muss es sein.

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