ERP-Lösungen im Urteil der Anwender

Die 41 ERP-Lösungen, die es in den Studienbericht der zehnten Ausgabe von ‚ERP in der Praxis‘ geschafft haben, erhielten von ihren Anwendern sowohl für die Software als auch für die Dienstleistungen eine uneingeschränkte Gesamtnote Gut. Im Vergleich zu 2018 lassen sich daher insgesamt leichte Verbesserungen der Anwenderzufriedenheit feststellen. Im Detail sind spürbare Verbesserungen im Bereich der ‚Dokumentation von Software und Anpassungen‘, aber auch der ‚Mobilen Nutzung der ERP-Lösungen‘ zu verzeichnen. Diese Aspekte waren in den Vorjahren immer Anlass zu deutlicher Kritik. Heute bewegen sie sich im Bereich eines ’starken Befriedigend‘. Damit sind diese Kritikpunkte in 2020 sicherlich noch nicht vom Tisch. Die ERP-Anbieter scheinen sich dieser Themen dennoch zuletzt verstärkt angenommen zu haben. Ebenfalls verbessert zeigt sich die ERP-Software in den Augen der Anwender, wenn es um die ‚Internationale Einsetzbarkeit‘, die ‚Release-Fähigkeit‘ und um die ‚Ergonomie/Bedienerfreundlichkeit‘ der Software geht.

Industrie mit

kritischen Anwendern

Aus Anwendersicht leicht verschlechtert hat sich dagegen der ‚Aufwand zur Datenpflege‘ sowie die ‚Branchenkompetenz‘ der Software-Anbieter. Für ihre Dienstleistungen im Rahmen des laufenden Betriebs, aber auch während der Implementierung ernteten die Software-Partner dagegen viel Lob. Wie in den Vorjahren zeigen sich Anwender aus der Industrie in fast allen Bereichen kritischer als die Vertreter von Handels- und Dienstleistungsunternehmen. Die ERP-Installationen der Industrieunternehmen zeichnen sich durch einen recht umfassenden Charakter aus. Sie bildeten meist nicht nur die klassischen Kernaufgaben der kaufmännischen Auftragsabwicklung und Produktionsplanung und -Steuerung ab, sondern werden als integrierte Lösung auch für die Verwaltung von Kunden, Lieferanten, Material und Finanzdaten genutzt. Darüber hinaus reicht die Unterstützung teilweise bis sehr tief in die Detailprozesse, z.B. über ein integriertes oder angebundenes MES-Modul. Mit zunehmender Durchdringung der Geschäftsprozesse und mit wachsender Zahl an Anwendern in einem Unternehmen steigt die Komplexität des Systemeinsatzes deutlich an. Dies gilt insbesondere, wenn die eingesetzte Software durch Anpassungsprogrammierung an unternehmensspezifische Anforderungen angepasst werden muss. Die wesentliche Ursache hierfür ist die deutlich höhere Komplexität der ERP-Installationen in Industrieunternehmen. Diese lässt sich u.a. an der im Durchschnitt größeren Anzahl an ERP-Arbeitsplätzen, dem größeren Spektrum an abgebildeten Geschäftsprozessen und -logiken sowie der größeren Bandbreite unterschiedlicher Nutzerrollen und -Qualifikationen festmachen. Hinzu kommt eine im Durchschnitt höhere strukturelle Komplexität im Hinblick auf die Anzahl von Standorten und die Internationalität des Geschäftes. Aus all diesen Aspekten erwachsen Herausforderungen für die Implementierung und den Betrieb einer ERP-Software, die letztlich die Anwenderzufriedenheit belasten.

Gewinner und Verlierer

Die Ergebnisse der aktuellen ERP-Studie bestätigen die grundlegende Erkenntnis, dass Lösungen für größere Unternehmen bzw. breit aufgestellte Generalisten insgesamt kritischer bewertet werden als solche für kleinere Unternehmen und/oder Branchenspezialisten. Ursächlich hierfür ist etwa, dass bei kleineren Unternehmen viele Problembereiche von ERP-Installationen weniger gravierend ins Gewicht fallen. So weisen die Installationen in der Regel eine deutlich geringere Komplexität auf. Die Software ist zudem oft einfacher gehalten, wird nahe am Standard eingesetzt bzw. bietet die erforderliche Flexibilität. Gleichzeitig ist die ERP-Software in eine einfachere Software-Landschaft eingebettet bzw. wird als Stand-Alone-Lösung betrieben. Auch muss die Software auf die Belange von weniger Anwendern zugeschnitten werden und es müssen weniger Anwender geschult werden. Schließlich fallen bei kleineren Installationen, die oft nahe am Software-Standard betrieben werden, Release-Wechsel leichter. Dabei finden sich in diesem Segment sehr unterschiedliche ERP-Lösungen: Angesiedelt sind hier schlanke ERP-Lösungen mit deutlichem Fokus auf dem Finanzwesen und der kaufmännischen Auftragsabwicklung, wie HS (Hamburger Software) oder BMD. Von diesen Lösungen finden sich im deutschsprachigen Raum oft über 10.000 Installationen. Auf der anderen Seite finden sich hier – zum Teil hoch spezialisierte und dabei fachlich durchaus breit aufgestellte – ERP-Lösungen, die von einem sehr überschaubaren Kundenkreis genutzt werden, wie Syslog, Issos Pro, WinWeb-Food oder RPS. Das Segment der sehr anspruchsvollen ERP-Installationen (Einsatzschwerpunkt über 100 User) findet sich aufgrund der Komplexität der Installationen in der Gesamtschau des Zufriedenheitsportfolios seit jeher tendenziell im hinteren Bereich wieder. In diesem Jahr haben sich die Schwergewichte aber besonders schwergetan. Die Lösungen von Microsoft und SAP liegen recht stabil im Bereich der Bewertung aus der Vorstudie aus dem Jahr 2018. Infor LN und IFS Applications verlieren dagegen im Hinblick auf die Zufriedenheit mit dem Wartungspartner spürbar an Boden. Nach recht guten Bewertungen in den Vorjahren kommt die im Vergleich zur Vorstudie deutlich schlechtere Bewertung von IFS Applications vielleicht etwas überraschend. Mit einem Gut bewegt sie sich zwar noch im Mittelfeld des Segmentes der größeren ERP-Installationen, liegt aber auch signifikant unter den Vergleichswerten aus 2018. Und dies, obwohl die Software in vielen relevanten Punkten wie der ‚Ergonomie‘, ‚Mobilen Einsetzbarkeit‘ oder auch der ‚Internationalität‘ sogar positiv heraussticht.

Themen und Trends

Von Themen und Trends im ERP-Umfeld halten rund 60 Prozent der befragten Anwender die ‚Daten- bzw. Informationssicherheit‘ für sehr relevant. Die Einhaltung ‚Rechtlicher Vorgaben‘ wie GoBD, EU-DSGVO oder Branchenregularien wie die EU-Richtlinie 2011/62/EU zur Serialisierung im Pharmabereich halten immerhin etwa 51 Prozent der Anwenderunternehmen für sehr relevant, wenn es um den Einsatz der ERP-Lösung geht. Aus beiden Themenkreisen resultieren vor allem fachlich-funktionale Anforderungen, die durch die ERP-Software bedient werden müssen, sei es im Bereich der Zugriffssteuerung und des Identity Management, der rechtssicheren Archivierung von Auftrags- und Rechnungsbelegen, dem Nachweis der Gestattung zur Nutzung personenbezogener Daten oder der Verwaltung von Seriennummern in Verbindung mit Produktidentifikation GTIN/NTIN/PPN, Verfallsdatum sowie Chargennummern. Auf den Plätzen folgen die Themen der ‚Software-Ergonomie‘ (45%) und des ‚Mobilen ERP-Einsatzes‘ (43%), bei denen es durchaus Schnittmengen wie das ‚Responsive Design‘ gibt, zumindest wenn es um die Bedienung der ERP-Lösung über mobile Endgeräte wie Smartphone oder Tablet geht. Auch im Zusammenhang mit der mobilen Nutzung von ERP-Software spielt ein weiterer Trend eine große Rolle: Die ‚Echtzeitübertragung mobiler Daten‘ (41%). Dabei geht es zum einen sicherlich auch um den performanten Einsatz der ERP-Software in mobilen Anwendungsszenarien. Noch wichtiger ist aber sicherlich die Möglichkeit, Zustands- und Steuerungsdaten in Echtzeit im Rahmen der Auftragsabwicklung verarbeiten zu können. Bewerkstelligt wird dies durch den Mobilfunkstandard 5G, der sich derzeit in der frühen Phase der Einführung befindet und dessen Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Datenübertragungsrate, die verfügbare Bandbreite sowie im Hinblick auf Verzögerungen bei der Datenübertragung (Latenzzeit) im Vergleich zum Vorgängerstandard 4G völlig neue Größenordnungen erreicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert