Erfahrungswissen statt Diplom

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Ende 2019 meldete der Branchenverband Bitkom rund 124.000 fehlende IT-Experten, ein Anstieg um rund 51 Prozent im Vergleich zu 2018. Diese Fachkräfte fehlen nicht nur in Technologieunternehmen, sondern auch in der produzierenden Industrie. Eine Herausforderung für Firmen, die mit ihren Produkten, Dienstleistungen und Verfahren, aber auch bei ihren internen Projekt- und Prozesssteuerungen auf IT-Expertise angewiesen sind. Fachinformatiker Martin Kaya leitet den Bereich IT-Infrastruktur bei einem mittelständischen Unternehmen und sagt: „Der Fachkräftemangel ist in der Informatik ein sehr ernstes Problem. Aufgrund der automatisierten Prozesse und der stetig wachsenden digitalen Anforderungen ist die IT-Fachkraft ein wichtiges Instrument. Es gibt sehr viel Arbeit, aber das Angebot an Fachkräften nimmt stetig ab.“ Wirtschaftsexperten sehen im IT-Spezialisten-Mangel sogar eine der größten Hindernisse für eine erfolgreiche Digitalisierung und eine Gefahr für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Mit dem Test können Firmen auch prüfen, ob Bewerber gezielte Fortbildungen oder
 Qualifizierungen benötigen, um ihren Anforderen gerecht werden zu können.
Mit dem Test können Firmen auch prüfen, ob Bewerber gezielte Fortbildungen oder Qualifizierungen benötigen, um ihren Anforderen gerecht werden zu können.Bild: Bertelsmann Stiftung

Der Markt ist leer gefegt

Viele Unternehmen konzentrieren sich mit ihren Rekrutierungsversuchen in Stellenportalen, bei Jobmessen und in ihren Social-Media-Aktivitäten noch immer auf die Suche nach voll ausgebildeten und zertifizierten Alleskönnerinnen und Alleskönnern, auch in der IT-Branche. Dabei erledigen branchenübergreifend bereits heute schon 70 Prozent der sogenannten Ungelernten viele Aufgaben von Fachkräften. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen häufig über langjährige Erfahrung, aber keinen Ausbildungsabschluss. Die Einstellung von erfahrenden Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern könnte in Zukunft bei der Rekrutierung von IT-Fachkräften eine immer größere Rolle spielen. Dabei ist wichtig, dass vergleichbare Bedingungen in Form von qualifizierten Eignungstests hergestellt werden. Unternehmen müssen auch ohne vorgelegte Abschlusszeugnisse wissen, mit wem sie es im Bewerbungsprozess zu tun haben. Und Jobsuchende sollten schon zum Zeitpunkt der Bewerbung einschätzen können, ob sie die notwendigen Fachkenntnisse besitzen, wo sie nachbessern müssen und was auf sie zukommt.

Alle Beteiligten

profitieren

Die Chancen auf eine Einstellung stehen für erfahrene Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger meistens mäßig bis schlecht. Nachweise über Kenntnisse und Erfahrungen fehlen. Auch für Unternehmen, sofern sie überhaupt die Rekrutierung von Menschen ohne formellen Abschluss in Betracht ziehen, können schwer einschätzen, ob eine Person ohne formelle Voraussetzungen für die entsprechende Position geeignet sein könnte. Lohnt es sich, in Bewerbungsgespräche, Einarbeitung oder gar Weiterbildung zu investieren? Die Bertelsmann Stiftung hat zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit kürzlich ein Verfahren entwickelt, das die tatsächlichen Kenntnisse der erfahrenen Ungelernten testet, um ihren den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Arbeitgeber erhalten durch das Testverfahren Myskills eine neue Rekrutierungsmöglichkeit, die den wachsenden Fachkräftemangel abfedern könnte. Martin Kaya hat den Test für den Beruf ‚Fachinformatiker/In‘ inhaltlich mitentwickelt: „Interessant für Arbeitgeber ist, dass man durch den Myskills-Test sieht, in welchen konkreten Arbeitsfeldern in der IT jemand bereits anschlussfähige Fähigkeiten hat.“

Wie der Test funktioniert

Myskills ist ein computergestützter, videobasierter Test, der vom Jobcenter oder der Arbeitsagentur durchgeführt wird. Um Barrieren zu verringern, ist der Test in sechs Sprachen verfügbar – Deutsch, Englisch, Arabisch, Farsi, Russisch und Türkisch. Er dauert ungefähr vier Stunden. Den Teilnehmern und Teilnehmerinnen werden etwa 120 Fragen zu beruflichen Situationen gestellt. „Der Test zeigt sehr genau, welche handlungspraktischen Fähigkeiten jemand schon hat, wo man ihn bereits einsetzen kann und wo der weitere Schulungs- und Qualifizierungsbedarf besteht, um jemanden mittelfristig zur Fachkraft zu entwickeln“, sagt Kaya. An der Entwicklung des Testverfahrens waren z.B. Vertreter der Berufs- und Fachschulen, der Innungen, vom Arbeitgeberverband, Unternehmer und Systemintegratoren aus der IT beteiligt. Der Test selbst ist in fünf Handlungsfelder gegliedert:

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