Governance für Smart Factories

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Das Problem ist: In vielen Fabriken sind bereits MES- oder MOM-Systeme im Einsatz und decken dabei die klassischen Funktionen nach VDI 5600 ganz oder teilweise ab. Die Fertigungsprozesse selbst und auch das notwendige Know-how in den Bereichen IT und Digitalisierung unterscheiden sich häufig in den einzelnen Werken, insbesondere bei zugekauften Standorten. Das Ergebnis ist eine stark heterogene Digitalisierungslandschaft über Werke und Standorte hinweg. Zusätzlich entsprechen die eingesetzten Lösungen teilweise nicht mehr dem Stand der Technik. Unternehmen begegnen dieser Situation häufig mit einzelnen Initiativen zur Digitalisierung. Allerdings können diese ohne integrales Gesamtkonzept für die Digitalisierung des Shop Floors über Werksgrenzen hinweg ihr Potenzial nicht voll entfalten und tragen sogar zur Heterogenisierung in den Fabriken bei. Parallel besteht die Notwendigkeit, die Resilienz der Lieferketten zu steigern. Die damit häufig einhergehende Verlagerung oder das Insourcing von Fertigungsschritten bietet im Einzelfall die Chance, die Digitalisierung effizienter zu gestalten. Wenn dann noch nachfragebedingt Erweiterungen und Neubauten von Werken gefordert sind, ist schnelles und zielgerichtetes Handeln gefragt. Wie also lassen sich Smart Factory-Konzepte umsetzen, die sowohl neue als auch bestehende Werke einschließen?

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Standards und Change definieren

Ausgehend von der Unternehmens-, IT- und Produktionsstrategie und einer gegebenenfalls existierenden Digitalisierungsstrategie ist die Formulierung von Use Cases eine gute Methode, um ein Zielbild für die angestrebte Fertigung (Abbildung) zu beschreiben. Bei der Definition der Use Cases sind die erwarteten Veränderungen, prognostizierte Marktentwicklungen sowie aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu berücksichtigen. Um später als Basis für die unternehmensweite Digitalisierung der Fertigung zu dienen, muss das Zielbild werksübergreifend und für den gesamten Konzern gültig sein. Die Entwicklung eines Zielbilds ist aus zwei Gründen elementar: Erstens sind die End-to-End-Prozesse der Fertigung anhand der Use Cases in homogenisierte Ziel-Prozesse zu transferieren. Die Gegenüberstellung von Ist- und Ziel-Prozessen ermöglicht die Bewertung des Potenzials der einzelnen Use Cases gemessen an strategischen und betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Dies stellt die Wirtschaftlichkeit der Smart Factory Use Cases sicher und bietet Anhaltspunkte für die spätere Priorisierung einzelner Vorhaben. Zweitens ist das Smart Factory-Zielbild als Grundlage für die Kommunikation auf allen Ebenen der Unternehmenshierarchie ein wesentlicher Bestandteil des Change Prozesses. Digitalisierungsprojekte in der Fertigung zeichnen sich typischerweise durch eine Vielzahl an Stakeholdern verschiedener Domänen aus. Daher ist die Bedeutung eines professionellen Change Managements auf dem Weg zur Smart Factory wichtig, um die Organisation auf den Wandel vorzubereiten.

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IT/OT-Architektur als zentrales Element

Neben dem Zielbild ist die Homogenisierung der Anwendungs- und Technologielandschaft auf dem Shop Floor eine Voraussetzung für die Transformation zur Smart Factory. Aufgestellte Standards reduzieren Komplexität und den Einsatz des beanspruchten IT-Personals. Grundlage für die Homogenisierung ist eine vom Zielbild abgeleitete modulare IT/OT-Architektur. Zu den Standards für Anwendungen und Technologien gelangen Produzenten über ihre funktionale IT/OT-Architektur. Diese beschreibt die aus den Use Cases abgeleiteten, benötigten Funktionen der verschiedenen Fertigungsleitebenen sowie ihr Zusammenspiel. Die Funktionen lassen sich anhand der in der VDI 5600 oder ISA 95/88 beschriebenen Hauptfunktionen clustern und anschließend klassischen und branchenüblichen IT/OT-Systemen zuordnen. Bei der Definition der Standards sorgen werkspezifische und regionale Gegebenheiten der Werke durchaus für unterschiedliche Anforderungen an die Systeme und Anwendungen.

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Schnittstellen zu Spezialanforderungen

Daher sind Entkopplungspunkte in der Architektur zu definieren, um den Einsatz von spezialisierten Systemanbietern und Technologien sowie standortspezifische Unterschiede zu ermöglichen. Bei der Integration der IT/OT-Systeme sollten insbesondere zwei Entkopplungspunkte in der Architektur berücksichtigt werden: Den ersten Entkopplungspunkt stellt der Übergang zwischen klassischen IT-Systemen und den OT-Systemen der Fertigung dar. Hier bietet die Einführung eines Enterprise Architecture Integration Layer (EAIL) den Vorteil, die häufig individuellen und proprietären Schnittstellen zwischen den klassischen IT-Systemen (ERP, PLM und Logistik) und den OT-Systemen in der Fertigung aufzulösen. Analog dazu ist ein weiterer Entkopplungspunkt in Form eines Manufacturing Service Bus (MSB) zwischen Fertigungsleit- und Prozesssteuerungsebene zu implementieren. Northbound ermöglicht der MSB die Anbindung von Systemen und Services der Fertigungsleitebene über Schnittstellen. Darüber hinaus bietet er die Möglichkeit, IoT-Plattformen, Data Lakes und Cloud Services anzubinden. Southbound bietet er Maschinenkonnektoren zur Anbindung von Maschinen und Anlagen. Eine Standardisierung ist über die Verwendung von technologiespezifischen Branchenstandards oder Companion Specifications, wie Euromap oder Umati, anzustreben. Über unternehmensinterne Standards für Maschinenschnittstellen lassen sich Scada-Systeme vereinheitlichen. Zusätzlich zu den Entkopplungspunkten ist ein einheitliches und dokumentiertes Datenmodell erforderlich, das die Anbindung neuer und zusätzlicher Lösungen und Technologien vereinfacht. Somit lassen sich künftig neue und weitere Technologien und Softwarelösungen für die Umsetzung innovativer Use Cases flexibel und ohne aufwendige Eingriffe in die umliegende Systemlandschaft integrieren. Das Datenmodell sollte dabei mindestens die in ISA 95 beschriebenen Aspekte Personal, Material, Equipment und Prozesse berücksichtigen.

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