Was hält die Zukunft bereit?

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Während Industrie 4.0 (I40) noch laufen lernt, wird schon von Industrie 5.0 gesprochen. „Doch welche industrielle Revolution hat man in zehn Jahren gemacht?“, fragt Prof. Wolfgang Wahlster, einer der Urväter der Idee. Weil das Verständnis von Industrie 4.0 mit der Zeit immer unschärfer wurde, hatte sich das Team der SmartFactory Kaiserslautern (SF-KL) um Prof. Martin Ruskowski 2019 zu einem Analysemeeting zurückgezogen. „Wir wollten I40 nachschärfen. Das Konzept ist richtig, aber es blieb zu oft unverstanden oder fehlinterpretiert. Außerdem hatten wir mittlerweile eigene Erfahrungen in der Umsetzung gesammelt und uns lagen Daten aus der Industrie vor. Dazu kamen die neuen technischen Möglichkeiten, wie KI-Methoden oder Cloud-Systeme“, erzählt Ruskowski. „Deshalb haben wir ein Update von Industrie 4.0 formuliert: Production Level 4 (PL4).“ Kurz: PL4.

Produktion in dynamischen Lieferketten

PL4 wird seit 2020 schrittweise umgesetzt. Der erste Demonstrator fertigte einen individuell konfigurierbaren USB-Stick als Beispielprodukt. Heute ist er Teil einer Shared Production, die unter demn Namen Produktionsinsel_JAVA an mehreren Standorten einen Modell-LKW herstellt. Aktuell wird die Insel so erweitert, dass sie zusätzlich Bauteile für den kleinen LKW produzieren kann, der einen Platzhalter für ein beliebiges Produkt darstellt. „Die Vernetzung arbeitet über Datenräume, das gibt uns viele neue Optionen“, sagt Ruskowski. „Zukünftig können wir Güter in dynamischen Lieferketten herstellen. Softwareagenten organisieren und überwachen die Fertigung, was durch Verwaltungsschalen (VWS) möglich wird.“ Als Ziel ist eine resiliente Produktion formuliert, die auf Lieferkettenengpässe oder Ausfälle von Produktionsmitteln schnell reagieren kann. Durch die VWS kann außerdem Nachhaltigkeit von Anfang an auf den Shopfloor implementiert werden, weil etwa Energie-Verbräuche messbar sind. Dadurch, dass außerdem die Fertigungshistorie jedes Assets über die VWS bekannt ist, ist auch die Wiederverwertung von Bauteilen in einer Kreislaufwirtschaft umsetzbar.

Einige Ideen von PL4 finden sich in den neuen Skizzen der Initiative Manufacturing-X wieder, an der auch die SF-KL mitgewirkt hat. „Mir ist es egal, wie das Kind am Ende genannt wird,“ sagt Ruskowski. „Die Hauptsache ist, dass wir für die Zukunft gewappnet sind.“

Das CSS-Modell

Die verteilte Produktion basiert auf dem CSS-Modell (Capability, Skills und Services) der Plattform Industrie 4.0. „Skills werden durch Capabilities beschrieben,“ erklärt Dr. Magnus Volkmann. „Das heißt, eine Capability ist eine abstrakte, generische Beschreibung von einem oder mehreren Skills, die in einer Reihenfolge ausgeführt werden.“ Diese bilden wiederum Services, wie etwa Fräsen oder Bohren, die im Datenraum angeboten werden können.

In Zukunft soll ein Produkt angeben, dass es beispielsweise eine Vertiefung in einem Aluminiumbauteil benötigt. Diese könnte technisch mittels Bohrung oder Fräsung umgesetzt werden. Im Datenraum melden sich dann die Services, die die Vertiefung vornehmen könnten. Die Angebote enthalten etwa Preis, Arbeitsdauer, Energieverbrauch oder den CO2-Ausstoß. „Die Skills und Capabilities sind hinter den angebotenen Services gekapselt,“ sagt Ruskowski. „Solange die Vertiefung gemäß den angegebenen Maßen realisiert wird, ist es unwichtig, wie das technisch geschieht oder welcher Hersteller dahintersteckt. Die Arbeit könnte auch per Hand umgesetzt werden.“ Eine solche Interoperabilität wurde vereits in der Industrie 4.0 als Schlüsselelement formuliert.

Die Produktionsinsel_JAVA

Die Produktionsinsel besteht aus verschiedenen Modulen, wie etwa Lagerhaltung, Bauteilschleuse, Datenbetankungsmodul, Montageplatz oder Qualitätskontrolle. Sie sind logistisch mit einem Schienensystem in Form einer Acht verbunden, sodass die Elemente flexibel angefahren werden können. Das An- und Abdocken der Module funktioniert nach dem ‚Plug & Produce‘-Konzept, die Zertifizierung der neu konfigurierten Anlage geschieht automatisch. Die zu produzierenden Bauteile nutzen gemeinsam die angebotenen Services. „Das ist es, worum es im Kern bei der Vision von PL4 geht. Maximale Variabilität“, sagt Ruskowski. „Auch Multiagentensysteme oder Knowledge-Graphen kommen zum Einsatz.“ In der Vision von PL4 kennt ein Produkt seine Eigenschaften, stellt sich selbst in einem Datenraum vor und bittet um Angebote zu seiner Fertigung. Maschinen oder Software melden sich mit den Services, die die genannten Wünsche erfüllen können. Die Koordination der Produktionsschritte übernehmen Softwareagenten. Letztlich wird das Produkt selbständig durch die dynamisch anpassbaren Lieferketten geroutet. Dabei ist denkbar, dass die Produktwunschliste den Hinweis enthält, dass wenig CO2 anfallen darf. „Dann werden die sparsamsten Maschinen im Datenraum ausgesucht“, sagt Ruskowski. „Denn über die VWS wird der CO2-Verbrauch transparent.“

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