„Wettbewerb um die beste Funktionalität“

Wie herausfordernd ist es für Sie, zwei derart große Messen in so kurzer Zeit zu bestreiten, und wie sehen Sie generell die Bedeutung von Messen nach zwei Jahren erzwungener Pause?

Steinberger: Das ist alles eine riesige Herausforderung. Die Messen, die wir jüngst nach der Hochphase der Coronawelle bestritten haben – die Hannover Messe und die SPS in Parma – hatten schon einen deutlich anderen Charakter als zuvor. Wir sind nicht 100-prozentig zufrieden damit, wie diese Messen abgelaufen sind und auch welche Akzeptanz sie beim Publikum erfahren haben. Gerade die Hannover Messe ist keine Branchen-, sondern eine breit angelegte Technologiemesse, die sehr stark vom internationalen Fachpublikum lebt. Wenn aber dieses internationale Fachpublikum nicht kommt, wird es schwierig. Wir erleben auch, dass viele große Player zumindest derzeit auf Messen verzichten. Wenn diese großen Unternehmen aber den Messen dauerhaft fernbleiben, wird dies einen Effekt auf die Messekultur an sich haben. Für mich persönlich sind Messen ein Treffpunkt der Innovationsführer, der Entscheider und der Gestalter – mithin ein gutes Forum, um Dinge voranzubringen. Man muss den Aufwand für Messen aber immer in Relation zu deren Nutzen sehen, und wenn ich hier die jüngst erzielten Leads analysiere, so haben sich die Messen für uns in diesem Jahr bisher nicht gelohnt. Hinzufügen möchte ich auch, dass wir natürlich auch an den unterschiedlichen Messestandorten verschiedene Ansprüche haben. So haben wir in Deutschland bereits eine sehr gute Marktdurchdringung und somit einen vergleichsweise hohen Anspruch an die Besucherqualität. Dies sieht in den USA, wo wir Mitte September an der IMTS in Chicago teilnehmen, ganz anders aus. Hier liegt für uns der Schwerpunkt darauf, den Namen Wöhner, aber auch das Konzept der Sammelschienensystemtechnik voranzubringen, das in Übersee bei weitem noch nicht den Stellenwert hat wie hierzulande. In Deutschland hat für uns derzeit oberste Priorität, Messen als Plattform zu nutzen, auf der wir uns mit unseren Kunden persönlich austauschen und diese bei ihren Problemen abholen können. Unser vorhin bereits erwähntes Customer-Care-Programm soll dazu dienen, ein wechselseitiges Verständnis füreinander zu entwickeln.

Augenfällig bei Wöhner ist, dass neben der Technik das Design Ihrer Lösungen einen besonderen Stellenwert einnimmt. Nun verschwinden Ihre Produkte häufig hinter Schaltschranktüren und der Maschinen- und Anlagenbau ist auch nicht unbedingt als die Design-affinste Branche bekannt. Warum legt Wöhner dennoch so großen Wert auf das gute Aussehen seiner Produkte?

Steinberger: Da möchte ich widersprechen. Ich habe bereits vielfach während meiner Tätigkeit hier bei Wöhner Feedback von Kunden erhalten, die sich vom ansprechenden Design unserer Produkte begeistern lassen. Natürlich verschwindet die eine oder andere Komponente im Schaltschrank, aber je dezentraler und maschinennaher es wird, desto häufiger sind die Wöhner-Lösungen tatsächlich sichtbar. Und auch beim Öffnen eines Schaltschranks bedeutet das Design einen großen Wiedererkennungseffekt. Mit unseren neuen Bedienkonzepten, die wir etwa beim Motus C14 umgesetzt haben, realisieren wir nicht nur eine attraktive Gestaltung, sondern wir versuchen, die Interaktion des Produktes mit dem Betreiber auf ein neues Level zu heben. Fehlermeldungen und Wartungshinweise sind so besser zu sehen, das Beleuchtungskonzept macht sofort ersichtlich, wo eine Störung vorliegt. Die Interaktion des Betreibers mit dem Produkt wird also erheblich erleichtert. Wir sind der Meinung, dass Produkte, die technisch hervorragend sind, durch eine gute Gestaltung noch besser werden. Denn durch die Energie, die in die Gestaltung einer Komponente investiert wird, machen sich Entwickler noch einmal Gedanken zu ihrer Funktionalität.

Ob multilaterale Initiativen wie die Industrial Digital Twin Association, die Open Industry 4.0 Alliance oder Universal Automation: Tendenziell habe ich den Eindruck, dass die Kooperationen unter Marktbegleitern zur Lösung der aktuellen Herausforderungen zunehmen. Stimmt dieser Eindruck und was bedeutet dies gegebenenfalls für die Neuausrichtung von Geschäftsmodellen?

Steinberger: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Lösung bestimmter Herausforderungen heute nur über Unternehmensgrenzen hinweg möglich ist. Abgegrenztes Denken und proprietäre Lösungen führen nur sehr bedingt zum Erfolg. Erforderlich ist ein Geben und Nehmen, ein Teilen und Zusammenbringen von Kompetenzen, nach dem Motto: Eins plus Eins macht Drei. Deswegen bin ich ein großer Verfechter von Kooperationen und Knowhow-Transfer. Meine Erfahrung zeigt, dass dann häufig eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten dabei herauskommt. Wir können die Digitalisierung nicht vorantreiben, wenn jeder seine eigene Lösung aufsetzt. Wir können keine Standards setzen, wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht. Bei solchen Kooperationen werden meist gemeinsame Plattformen geschaffen, auf denen jeder Anbieter seine individuellen Produkte entwickelt, die sich in bestimmten Funktionalitäten, Bedienungen oder Designs unterscheiden. Und das ist für mich der springende Punkt: Wir müssen gewisse Standards setzen, und auf Basis dieser Standards darf es dann mannigfaltige Individualisierungen geben. Dann kann sich der Kunde entscheiden, ob er die individuelle Lösung von Lieferant A, B, C oder D bevorzugt. Und dort findet dann auch der Wettbewerb statt, nämlich um die beste Funktionalität. (jwz)

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